Page - 50 - in Österreichs Staatsidee
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Ich brauche wohl nicht auseinander zu legey, welcher von
den drei Formen ich den Vorzug geben würde, da ich überzeugt
bin, daß der Dualismus überhaupt, möge er welche Gestalt immer
annehmen, in kurzer Zeit als verderblich für das ganze Reich, ja
noch verderblicher sich erweisen muß, als eine völlige Eentralisation.
Es wäre dies nichts als eine zweifache Eentralisation, die nicht
weniger als die einfache selbst gegen Recht und Natur verstößt;
und ein zweifaches Übel ist, wie auch der gemeinste Verstand sieht,
immer noch schlimmer als das einfache. Überdies kann ich auch
nicht glauben, daß unsere Regierung, daß die Minister selbst sich
faktisch zum Dualismus neigen sollten; ich kann mir nicht denken,
daß dieselben Staatsmänner, die nicht ohne Widerwärtigkeiten und
Opfer aller Art z. B. die Autonomie Siebenbürgens reftaurirt
haben, dieselbe jetzt wieder zerstören und zu den rumänischen und
sächsischen Abgeordneten sagen sollten: Liebe Freunde, ihr wart so
freundlich, auf unseren Wunsch und trotz des Widerstandes der
«Ungarn hieher nach Wien zu kommen; habt nun die Gefälligkeit,
unterwerfet euch eueren bisherigen Gegnern und geht auch nach
Pest! Ich kann nicht begreifen, wie der Hoftanzler Majuranii mit
solchem Eifer seine Landsleute in das Haus vor dem Schotten-
thore locken könnte, wenn er wüßte, daß sie dann doch um ihres
nationalen Heils willen hauptsächlich nach Pest werden wallfahrten
müssen. Daher zweifle ich nicht, daß die dualistische Strömung
yur bei der deutschen und magyarischen Bevölkerung, keineswegs
aber bei der Regierung Öfterreichs vorherrschen kann; wenn aber
irgend ein Staatsmann ihr nachgiebt, so ist dies immerhin nur
ein Zeichen, daß bei ihm nationale Sympathien oder Antipathien
mächtiger sind, als alle die Rücksichten, die die Erhaltung der
Einheit und Machtstellung des gesammten Öfterreichs für sich in
Anspruch nimmt.
Indessen sind die Wege der weltlichen Politik manchmal eben-
so unergründlich und unbegreiflich, wie die Wege der göttlichen
Vorsehung; nicht immer kann man sich hier auf das bekannte
philosophische Axiom berufen: Was nicht vernünftig ist, kann auch
nicht sein. Daher ist es Pflicht eines jeden ehrlichen Patrioten
und Bürgers, nicht zu schweigen, wenn er an den Staat irgend
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book Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918