Page - 55 - in Österreichs Staatsidee
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nicht mehr möglich, ihre Stimme zu unterdrücken oder sie zu
ignoriren."
„Wir Böhmen wünschen uns gewiß aufrichtig die Erhaltung
und Einheit Österreichs; denn indem wir dafür halten, daß wir
mit e i g e n e n Kräften kaum einen selbstständigen, souverainen Staat
würden errichten können, können wir unsere historisch-politische
Individualität, unsere besondere Nationalität und eigenthümliche
Cultur, endlich unser autonomes Leben nirgends und in keiner Welse
besser bewahren, als in Österreich — doch wohlgemerkt in einem
freien, auf Grundlage der Autonomie und Gleichberechtigung orga-
nisirten Österreich. Wir haben keine Hoffnungen und politischen
Perspektiven außerhalb Österreichs, noch auch Connationale und
Sprachgenossen (im engern Sinne). Sagt uns aber Jemand,
daß wir nur aus Egoismus Freunde Österreichs sind, so werden
wir ihm gerne beipflichten; aber Politiker, die eben nicht naiv
find, werden uns zugeben, daß gerade solche Freunde die treue-
sten und verläßlichsten zu sein Pflegen."
„Wenn aber die Zeit jener großen Stürme wirklich herein-
gebrochen wäre, wo würde dann unsere Nation und jene Slaven,
die mit ihr die Geschicke theilen, das ganze Gewicht ihrer Kraft
und Energie einsetzen? Unser Interesse führt uns dazu, uns gleich
wie im I. 1848 für ein einiges und untheilbares Österreich, für
das Reich der gleichberechtigten Nationen und Länder zu entschei-
den. Vielleicht wird auch dann nur dieser Wahlspruch, nur diese
Überzeugung unser Voll leiten, vielleicht werden wir Böhmen in
so schicksalsvoller Zeit mit Hilfe der übrigen österreichischen Slaven
Österreich wieder einig zu erhalten und ihm zugleich freie, dauernde
und allen Völkern gerechte Institutionen zu verschaffen wissen.
Dies ist wenigstens bei uns Böhmen dermal der allgemeine
Wunsch; es rüth uns dazu die objective Erwägung der Dinge
und ein begründetes Urtheil über unsere Verhältnisse und Bedürf-
nisse. Indeß, wir sagen nur „vielleicht." Denn wer kann
jetzt alle Macht und Wirksamkeit der wirklichen Factorcn, ja auch
nur der Zufälle in solchen Zeiten ermessen? Wer kann es wissen,
was Agitationen aller Art, was augenblickliche politische Constel«
laüonen und wach gerufene Leidenschaften, was herbe Erinnern»«^
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book Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918