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wer berechtigt die Deutschen und Magyaren zu solchem Vorschrei-
ben? wer soll verpflichtet fein, wenn er frei ist, die Herrfchaft
einer andern Nationalität anzuerkennen? Wenn Deutsche und
Magyaren den Slaven das Maaß ihrer nationalen Berechtigung be-
stimmen werden, wie wird man dann in Österreich noch von
Gleichberechtigung der Nationalitäten und gleichem Rechte für Alle
reden können?
Wenn wir bedenken, daß der Grundsatz der sprachlichen und
nationalen Gleichberechtigung unlängst vom Siebenbürger Landtage
durchgeführt und von der Regierung bestätigt wurde, so müssen
wir gestehen, daß die fiebenbürger Rumänen keine Ursache mehr
zu klagen haben dürften. Warum geschah aber Etwas ähnliches
nicht schon auch in anderen Ländern, besonders in den slavischen?
oder sollte es wirklich wahr sein, was ich im I. 1861 in Wien
aus dem Munde eines hochgestellten Mannes gehört und natürlich
nur für einen Scherz gehalten habe, daß in Öfterreich alle Natio-
nen eher, als die Slaven, und am Ende noch auch alle Slaven
eher als die Böhmen zufriedengestellt werden sollen?
Im Schooße der großen und speculativen Nation der Deut-
schen finden sich immer eigenthsmllche Philosophen vor, denen es
nicht schwer fällt jeden Sinn und Unsinn in ein methodische«
System zu bringen und die. daher auch 2 priori zu beweisen
wissen, daß der Grundsatz der nationalm Gleichberechtigung
eigentlich ein Unsinn sei. Die gemeinsame Abstammung der ge-
sammten Menschheit sei, wie Adam und Eva selbst, eine Fabel;
die Natur, die auch leine zwei Blätter vollständig gleich geschaffen,
habe auch unter die Nationen nicht ihre Gaben gleich vertheilt,
und wem sie irgend einen Vorzug verliehen, der besitze auch das
Recht, denselben zur Geltung zu bringen. Die Deutschen, die also
von Natur aus begabter, kräftiger und edler sind, als die Slaven,
dürfen mit ihnen keineswegs auf eine Stufe gestellt werden. Und
solche Reden bekömmt man nunmehr nicht nur in deutschen Büchern
und Zeitschriften, sondern auch in deutschen Wirthshluseru zu hören.
Wenn also die Deutschen von Natur aus begabter, kräftiger
und edler sind als wir Böhmen, so frage ich, wo war diese ihre
Natur z. V. in den Hussitenkriegen hlygerathen? Bewiesen sie
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Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918