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Sie wissen, welche Macht den ganzen großen Osten unseres
Welttheils inne hat; Sie wissen, daß diese Macht, schon jetzt zu
kolossaler Größe herangewachsen, von Innen heraus mit jedem
Iahrzehend in größerem Maße sich stärkt und hebt, als solches in
den westlichen Ländern der Fall ist und sein kann; daß sie, im
Innern fast unangreifbar und unzugänglich, längst eine drohende
Stellung nach Außen angenommen hat, und wenn gleich auch im
Norden aggressiv, dennoch, vom natürlichen Inftinct getrieben, vor-
zugsweise nach dem Süden zu sich auszubreiten sucht und suchen
wird; daß jeder Schritt, den sie auf dieser Bahn noch weiter vor-
wärts machen könnte, in beschleunigtem Lauf eine neue Universal-
monarchie zu erzeugen und herbeizuführen droht, d. i. ein un-
absehbares und unnennbares Übel, eine Calamität ohne Maß und
Ende, welche ich, ein Slave an Leib und Seele, im Interesse der
Humanität deshalb nicht weniger tief beklagen würde, wenn sie
sich auch als eine vorzugsweise flavische ankündigen wollte. Mit
demselben Unrecht, wie in Deutschland als Deutfchenfeind, werde
ich in Rußland von Vielen als Russenfeind bezeichnet und ange-
sehen. Nein, ich sage es laut und offen, ich bin kein Feind der
Russen; im Gegentheil, ich verfolge von jeher mit Aufmerksamkeit
und fteudiger Theilnahme jeden Schritt, den dieses große Volk
innerhalb seiner natürlichen Gränzen auf der Bahn der Civilisa-
tion vorwärts thut: da ich jedoch, bei aller heißen Liebe zu mei-
nem Volke, die Interessen der Humanität und Wissenschaft von jeher
noch über die der Nationalität stelle, so findet schon die bloße
Möglichkeit einer russischen Universalmonarchie keinen entschiede-
neren Gegner und Belümpfer, als mich; nicht weil sie russisch,
fondern weil sie eine Universalmonarchie wäre.
Sie wissen, daß der Süd-Ost von Europa, die Gränzen des
russischen Reichs entlang, von mehren in Abstammung, Sprache,
Geschichte und Gesittung merklich verschiedenen Völkern bewohnt
wird, — Slaven, Walachen, Magyaren und Deutschen, um der
Griechen, Türken und Schlipetaren nicht zu gedenken, — von wel-
chen keines für sich allein mächtig genug ist, dem übermächtigen
Nachbar im Osten in alle Zukunft erfolgreichen Widerstand zu
leisten; das können sie nur dann, wenn ein einiges und feste«
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Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918