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Endlich muß ich noch aus einem dritten Grunde Anstand
nehmen, bei Ihren Beratungen mitzuwirken: ich halte nämlich
alle bisherigen Projecte zu einer Reorganisirung Deutschlands auf
Grundlage des Vollkswillens für unausführbar und in die Lange
unhaltbar, wenn Sie sich nicht zu einem echten Kaiserschnitt ent-
schließen, — ich meine die Proclamirung einer deutschen Republik
— wäre es auch nur als eine Übergangsform. Alle versuchten
Vorschriften von Theilung der Gewalt zwischen halb souverainen
Fürsten und dem souverainen Volk erinnern mich an die Theorien
der Phalanstere, die gleichfalls von dem Grundsatze ausgehen, die
Netheiligten werden wie Ziffern in einem Rechenexempel sich ver-
halten und keine andere Geltung in Anspruch nehmen, als welche
die Theorie ihnen anweist. Möglich, daß meine Ansicht unbegrün-
det sei, — aber diese Überzeugung ist da, und ich darf diesen
Compaß keinen Augenblick aus der Hand geben, wenn ich in den
Stürmen des Tages nicht Haltungslos mich verlieren will. Was
nun die Einführung einer Republik in Deutschland betrifft, so liegt
diese Frage so ganz außerhalb des Kreises meiner Competenz, daß
ich darüber nicht einmal eine Meinung äußern will. Von den
Gränzen Österreichs muß ich aber jeden Gedanken an Republik
in vorhinein entschieden und kräftig zurückweifen. Denken sie sich
Österreich in eine Menge Republiken und Republikchen aufgelöst,—
welch' ein willkommener Grundbau zur russischen Universalmonarchie!
Um endlich meine lange und doch nur flüchtig hingeworfene
Rede zu schließen, muß ich meine Überzeugung in kurzen Worten
dahin aussprechen, daß das Verlangen, Österreich (und mit ihm
auch Böhmen) solle sich volkstümlich an Deutschland anschließen,
d. h. in Deutschland aufgehen, eine Zumuthung des Selbst-
mords ist, daher jedes moralischen und politischen Sinnes er-
mangelt; daß im Gegentheil die Forderung, Deutschland möge sich
an Österreich anschließen, d. h. der österreichischen Monarchie unter
den oben angedeuteten Bedingungen beitreten, einen ungleich besser
begründeten Sinn hat. Ist aber auch diese Zumuthung dem beut«
scheu Nationalgefühle gegenüber unstatthaft, so erübrigt nichts, als
daß beide Mächte, Öfterreich und Deutschland, neben einander
gleichberechtigt sich constituiren, ihren bisherigen Bund in ein
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Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918