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Vor Allem scheint es uns bedenklich zu sein, wenn man einen
und denselben Zweig der öffentlichen Administration (z. B. die
Schulangelegenheiten) unter die Reichs- und Landesregierung zu-
gleich vertheilen wollte; es werden sich unumgänglich Reibungen
unter ihnen einstellen, da eine jede von ihnen den Umfang ihres
Wirtungskreises wird erweitern wollen; es wird daher absolut
nothwendig sein, daß ein jeder solche Zweig ganz und ungeschmä-
lert nur der einen Verwaltung überantwortet werde. Auch dort,
wo man sich ohne Theilung kaum wird behelfen können, nament-
lich in Finanzangelegenheiten, würden wir z. B. alle indirecten
Steuern einzig und allein nur der Reichsgewalt, directe Steuern
aber der Landesregierung zuweisen — natürlich mit der Verpflich-
tung, daß so wie es bisher geschah bestimmte Quoten an die
Reichslassen abgeführt würben. Würde man dies nicht thun, so
würden die Steuerpflichtigen entweder die Reichssteuer oder die
Lanbeszuschläge für ein opug ZupereroMtiom^ für eine verhaßte
und überflüssige Last halten, wobei das Staatsinteresse jedenfalls
leiden müßte. Nur durch ein solches Eintheilen und Ifoliren der
einzelnen Angelegenheiten im Staatshaushalte kann für die Zu-
kunft allen wechselseitigen, gefährlichen Reibungen zuvorgekommen
und abgeholfen werden.
Wir haben bisher die Centralisation in Österreich lediglich
von nationalem Standpunkte beurtheilt, da dieser für uns unbe-
dingt der wichtigste ist. Wenn wir uns jedoch erinnern, daß auch
in Frankreich, diesem fast homogenen Staate einer einzigen Natio-
nalität, viele von den erleuchtetsten Patrioten die einzige Rettung
ihres Vaterlandes in seiner Decentralifation suchen, so werden wir
uns bald überzeugen, daß diese Angelegenheit noch andere wichtige
und gefährliche Seiten hat, in deren Beleuchtung wir uns jedoch
hier nicht einlassen wollen.
Das dürfen wir aber bei unserer Anschauung nicht verschwei-
gen, daß, wenn in Österreich schon jetzt die, Errichtung eines be-
sonderen Reichsrathes im Sinne des § 96—98 der octroyirten
Verfassung nothwendig erscheint, diese Nothwendigkeit mit der
Errichtung der oben erwähnten Landesministerien nur noch gewich-
tiger und dringender sich erweisen würde. Dieser Reichsrath, der
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Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918