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213.
Februar 1848
hier ist es jetzt vergleichungsweise ruhig, am ende ennuyirt es die leute
selbst, alle tage einen neuen unsinn zu erfinden.
vorgestern aß ich en partie carrée bey mocenigo, zu meinem und aller Welt
erstaunen, die beyden eheleute sind in einer beständigen Plänkeley, gott
bewahre einen vor einer solchen existenz. clementine, welche noch immer
die alte ist, scheint übrigens daran ebenso viel schuld zu tragen als ihr mann,
welcher allerdings eine menge unangenehmer eigenschaften hat. ich gehe
jetzt öfters Abends zu nani esterhazy. sophie Apponyi ist für mich ein mäch-
tiger magnet, ihre elegante, lady like erscheinung sticht so unendlich von
allen den hiesigen figuren ab, vielleicht sophie Palfy und Jane Pallavicini al-
lein ausgenommen. die kleine Persico, welche übrigens tartarisch coquettirt,
Bebe strozzi, deren affektirte lebhaftigkeit mir antipathisch ist, und alle die
anderen hiesigen schönheiten gehören ganz von selbst in die Antichambre,
sobald jene in den salon tritt. neulich war eine recht angenehme soirée bey
nani esterhazy zu ehren des geburtstages valentin’s, ein paar tage früher
riskirte ich mein junges leben, indem ich bey einem fabelhaften sturme um
10 uhr Abends auf dem canal grande von esterhazy zu Palfy fuhr.
Brigido ist in Wien gestorben, daher casa thurn in trauer,1 eine willkom-
mene gelegenheit für mutter und tochter, um den kopf noch mehr hängen
zu lassen als zuvor.
[venedig] 3. februar
das Wetter war am 31. und 1. so schlecht, daß ich meine Abreise auf den 7.
verschoben habe, da ich fürchtete, daß die Wege zwischen triest und cilly
ganz verschneyt seyn dürften, und ich nicht lust habe, dießmal wieder so
übel anzukommen wie auf der hieherreise.
kolb hat mir gestern geantwortet, einen verlegenen und mißmuthigen
Brief, den armen mann erdrückt die last und besonders die Art seines ge-
schäftes und die Abhängigkeit von kaufmannsseelen wie cotta und rei-
schach, übrigens habe ich ihm vielleicht doch in etwas unrecht gethan, we-
nigstens steht der esterhazysche Artikel, wie er behauptet, in seinem Blatte,
und ich muß es übersehen haben. doch läugnet er nicht, daß von seite unse-
rer regierung scharfe drohungen ausgegangen sind, die leute werden täg-
lich dümmer.2
inneren Angelegenheiten griechenlands empfunden. die Wiener Zeitung schrieb etwa am
5.2.1848, sie „war nicht in dem tone gefaßt, in welchem eine regierung von einer anderen
sprechen soll, am wenigsten eine mächtige von einer schwachen.“
1 der am 23.1.1848 verstorbene graf Paul Brigido war ein Bruder der mit graf Johann
Thurn-Valsassina verheirateten Gräfin Polyxena Brigido.
2 gustav kolb an Andrian, Augsburg 27.1.1848 (k. 114, umschlag 663). er schreibt darin,
dass er auf grund der schwierigen lage der Allgemeinen Zeitung zur Zeit über die von
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien