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März 1848
und nur mit mühe beredete sie Professor hye, sie ihm zu übergeben. nach
manchen reden und tumult gingen die jungen leute auseinander, sie sollen
sich verabredet haben, morgen, da die ständeversammlung eröffnet wird,
vor dem landhause zu seyn. überhaupt erwartet Alles mit spannung den
morgigen tag. die regierung will wirklich die stände über den gänsedreck
führen, indem sie im vorhinein eine versammlung von Ausschüssen zugibt,
aber – einen aus jedem stande einer jeden Provinz!! doch hoffe ich, wer-
den die stände diese insidiose Proposition mit unwillen zurück weisen, das
nöthige ist heute bereits besprochen worden, nur fürchte ich die dummheit
und obstination unserer fürsten, welche, louis lichtenstein an der spitze,
hineingehen und für eine bloße ergebenheitsadresse stimmen wollen, unter
diesen umständen hieße dieses, den ständen und der Aristokratie den to-
desstoß geben. ich fürchte, wir stehen einem krawalle, vielleicht sogar einer
umwälzung näher als man denkt. die regierung aber ist blind und sieht
und hört nichts.
die Petitionen, Adressen etc. nehmen zu, die eine der Bürger und des
handelsstandes hat schon über 5000 unterschriften, sämmtlich sind sie an
die stände gerichtet. gegen fürst metternich ist die Aufregung am größten,
gestern fand man ihn wieder an seiner villa am rennwege in effigie aufge-
hängt.
obwohl mir dieß Alles höchlich mißfällt, da ich fürchte, que le mouvement
ne nous échappe en descendant dans les rues, so muß ich doch sagen, daß ich
seit einigen tagen von meinen landsleuten höher denke, als ich es für mög-
lich hielt, und dieß ist ein wohlthuendes gefühl. Aber zum guten kann eine
fortwährende straßenbewegung nicht führen, wenn also nicht bald etwas
tüchtiges geschieht, ist die revolution fertig.
in Prag geht es à peu pris so zu wie hier, nur daß man sich dort nicht an
die stände wendet, denn diese sind dort nicht populär. dagegen ist die Auf-
regung im Bürgerstande vielleicht größer als hier.
heeckeren sehe ich jetzt viel und erfahre viel durch ihn, sein geist, seine
erfahrung, seine menschenkenntniß sind mir von nutzen, und er scheint
großen Antheil an mir zu nehmen und an dem guten erfolge meiner, d.h.
überhaupt der liberalen Bestrebungen.
[Wien] 14. märz Abends
ereignisse von welthistorischer Bedeutung, die außer aller Berechnung und
erwartung lagen, sind gestern und heute geschehen.
gestern um 10 uhr war also ständeversammlung. schon um 8 war die
ganze herrngasse und der hof des landhauses gesteckt voll von studenten,
Bürgern etc., es wurden reden gehalten usw. die Aufregung nahm immer
zu, von militär und Polizey keine spur. Als die stände ankamen, ward das
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien