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April 1848
nahmens im ganzen lande verbreitete. ich habe in diesem Briefe, welcher
wohl bestimmt war, seinen freunden herumgezeigt, nicht aber gedruckt zu
werden, vorzüglich auf die nothwendigkeit zu wählen hingewiesen, und um
meinen raisonnements bey den Böhmen eingang zu verschaffen, in einer
vielleicht allzu grellen sprache betheuert, daß wir Alle vor Allem oesterrei-
cher seyen und wie ein mann aus dem deutschen Bunde austreten würden,
wenn uns in frankfurt Zumuthungen gemachten werden sollten, welche mit
der unabhängigkeit und Würde oesterreichs nicht vereinbarlich wären. in
Böhmen kann dieser Brief nur gutes wirken, nicht so aber in deutschland,
wenn er dort bekannt werden sollte, und unter den hiesigen (freylich an An-
zahl immer abnehmenden) teutomanen.
in mähren hat der landtag am 26. die Wahlen ebenfalls abgelehnt, aus
reiner furcht vor den Bauern, welche durch czechische emissäre bearbei-
tet werden. hier aber sind wir, d.h. das comité, energisch aufgetreten und
haben vom ministerium in einer von mir verfaßten geharnischten note au-
genblickliches einschreiten begehrt, widrigenfalls wir uns durch öffentliche
Aufrufe an die deutschen in mähren und schlesien wenden würden.
ich fange jetzt an, von allen seiten in Anspruch genommen zu werden, als
hätte ich gott weiß welchen einfluß. hock und schinner bitten mich, daß
ich mich bey Pillersdorf (den ich jetzt wegen der Wahlangelegenheiten öfters
sehe) verwende, damit [er] die ihnen ertheilte Zusicherung, die constitutio-
nelle donauzeitung zu seinem ministeriellen organe zu machen, erfülle, und
da ich es für äußerst nothwendig und dringend halte, daß ein solches organ
bestehe, so will ich mich auch dafür interessiren, wiewohl weder hocks per-
sönlicher charakter noch sein jetziges Benehmen es verdienen. der com-
mandant der studentenlegion Prziborsky will, daß ich die universität zur
ruhe bringe, da er sich – ob mit recht? – von meinen Worten ein großes re-
sultat verspricht, wiewohl ich auf diesem terrain ganz unbekannt bin, etc.,
und so drängt eins das Andere.
Zur hebung der „neuen Zeit“, welche bis jetzt noch sehr wenig halt hat,
haben doblhoff, fries und ich nebst den beyden redacteurs Becher und seid-
litz (welcher letztere ein sehr gescheidtes männchen zu seyn scheint, desto
weniger ist es Becher) eine Art direction gebildet, welche wöchentlich 2mal
zusammenkommen und richtung und haltung festsetzen soll. ich habe ent-
schieden erklärt, daß ich mich in dieser Art an einem ministeriellen organ
(wozu die „neue Zeit“ vorgeschlagen worden zu seyn scheint) nicht betheili-
gen könne, indem ich kein ministerieller sey, wohl die pöbelhafte, misérable
Art, in welcher es von den meisten unserer Journale angegriffen werde,
höchlichst mißbillige, deßwegen aber dennoch wegen seines mangels an je-
der energie und wegen seiner halbheit sein gegner sey. unsere Presse wird
immer schlechter, und so wäre ein Blatt, welches sich auf einen höheren,
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien