Page - 79 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume II
Image of the Page - 79 -
Text of the Page - 79 -
796.
Mai 1848
gar keine schritte gethan habe und kaum einen oder zwey meiner Wähler
persönlich kannte. Auf der landstraße (wo mein ersatzmann dr. f. egger
eintritt) mußte ich zweymahl, am Wahltage und am tage vorher, speeches
halten und mein glaubensbekenntniß ablegen, welches, da die Wählerschaft
dort ebenso entschieden österreichisch ist wie in der stadt, allgemein ge-
fiel. von dort fuhr ich auf die Wieden, wo man mich ebenfalls wählen wollte.
da fand ich aber eine masse von candidaten, darunter der obrist v. may-
ern, welcher die nothwendigkeit, eine militärische specialität in frankfurt
zu haben, so klar darlegte, daß ich (auch um eine stimmenzersplitterung
zu verhüten, und da ich mich nebstbey meiner Wahl auf der landstraße so
ziemlich sicher glaubte), als die reihe zu sprechen an mich kam, von meiner
candidatur zurücktrat und mayern empfahl. das gab für ihn den Ausschlag,
und er wurde tags darauf gewählt. doch wollten sie mich einstimmig als er-
satzmann wählen und die Wahlhandlung solange aussetzen, bis sie das re-
sultat der Wahl auf der landstraße erfahren hätten, zu welchem Zwecke ein
expresser dahin abgesendet wurde. da sich aber diese letztere Wahl in die
länge zog, und sie nicht länger warten konnten, erhielt ich dessenungeach-
tet unter 106 52 stimmen. ich habe darüber den Wählern der Wieden einen
danksagungsbrief geschrieben, und sie bathen mich heute um die erlaub-
niß, denselben drucken lassen zu dürfen. Auch von görz habe ich von dem
dortigen Wahlcomité eine Zuschrift erhalten, worin sie mich fragen, ob ich
ihre Wahl annehmen würde, was ich natürlich ablehnen mußte, mich ihnen
jedoch zugleich als candidaten für den österreichischen reichstag (welcher
ende Juny zusammentreten wird) antrug. ich habe nähmlich meine Wahlen
nach frankfurt nur unter diesem ausdrücklichen vorbehalte angenommen.
überhaupt ist meine Popularität sehr im Zunehmen, und wie es scheint
in der ganzen monarchie, übrigens verdüstert sich der horizont immer
mehr. diese Woche war eine sehr bewegte. gerüchte wegen rückkehr der
liguorianer,1 der Austritt Zaninis etc. brachten eine ungeheure Aufregung
hervor. katzenmusiken beym erzbischofe, bey ficquelmont etc. machten
den Anfang und wiederholten sich ein paar Abende, endlich am 3. Abends
kam es vor ficquelmonts hause zu einer förmlichen émeute, man drang in
sein haus, suchte ihn, als man ihn da nicht fand, in der staatskanzley auf,
begleitete ihn dann zu seiner tochter clary und zwang ihn endlich, nachdem
dieses spektakel bis 1 uhr nachts gedauert hatte, gleichsam mit dem mes-
ser an der kehle zu dem versprechen, seine entlassung zu nehmen, was er
1 die redemptoristen (nach ihrem gründer Alfons ligouri auch ligourianer) galten als sym-
bol des klerikalen systems des vormärz. sie wurden am 6. April 1848 gewaltsam aus Wien
vertrieben. Auf massiven öffentlichen druck wurde der orden – ebenso wie die Jesuiten –
schließlich am 8. mai von der regierung aufgehoben.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien