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Juni 1848
dafür erklärt, so war die möglichkeit eines friedens verloren, denn nimmer-
mehr hätten england und rußland sich dem gefügt. ich stimmte natürlich
dagegen, wollte aber gegen die Zumuthung protestiren, als sey dadurch ein
Prinzip zugegeben, ward aber nicht angehört.
Wäre ich minister der auswärtigen Angelegenheiten für deutschland (und
es ist nicht unmöglich, daß ich es werde, wenn die provisorische centralge-
walt geschafffen ist), so würde ich trachten, dänemark zum eintritt in den
deutschen Bund zu bewegen, dadurch wäre die schleswigsche frage erledigt,
wir hätten eine marine und einen der beyden schlüssel zum sund und zu
der ostsee. dänemark dagegen wäre vor der immer wahrscheinlicher wer-
denden scandinavischen union gerettet.
heute haben wir im verfassungsausschusse die volksrechte bis auf die
redaction zu ende gebracht, ich machte zum schlusse eine energische Pro-
testation gegen die allzugroße centralisation, wie man sie hier beabsichtigt,
und erklärte rundweg, daß oesterreich sich derselben, wenn man dabey ver-
bliebe, nicht fügen werde.
gestern Abends war dem minister dusch zu ehren soirée und souper
bey Welcker, etwas bürgerlich, aber der Persönlichkeit der Anwesenden we-
gen interessant, heute Abends war große rout bey der gräfinn Bergen, die
eine sehr hübsche muntere frau ist und mir wohl gefallen könnte, wenn ich
Zeit dazu hätte. dienstag nach meiner rückkehr essen schmerling und ich
bey ihr, und wir wollen dann zusammen irgendwohin eine Parthie machen.
mittwoch habe ich ein großes diner uns zu ehren bey Amschel rothschild,
Abends eine soirée bey dessen sohn und bey mrs. ormes von der englischen
gesandtschaft etc. so werde ich mit einladungen verfolgt, zu denen ich we-
der Zeit habe (denn gerade des Abends sind conferenzen, dann soupers in
den verschiedenen gasthöfen und clubs, etc., wo ich überall seyn möchte
und seyn sollte, aber keine Zeit dazu finde, so z.B. war ich nun schon 8 tage
nicht mehr in socrates) noch in der stimmung bin, sie anzunehmen.
[frankfurt] 14. Juni früh
sonntag, den 11. früh 9 uhr fuhr ich ab, auf der eisenbahn hier und in hei-
delberg traf ich eine menge Abgeordneter, welche ebenfalls die Pfingstfei-
ertage benützen wollten: Würth, dahlmann, ross, francke, möring, lette,
rönne etc., um 1/2 5 war ich in BadenBaden und stieg im hôtel d’europe ab.
den Abend brachte ich bey Auguste horrocks in lichtenthal zu. Auch am
nächsten tage sah ich die horrocks viel, jedoch Augusta nicht mehr, da mir
die Zeit fehlte, nochmals nach lichtenthal hinaus zu wandern. es waren
nämlich eine menge Abgeordneter in Baden, mit denen ich sprechen wollte
und mußte, und so verging mir der tag sehr schnell. Auch viele andere Bad-
ner Bekannte hielten mich auf, von denen ein jeder mich nicht loslassen
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien