Page - 122 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume II
Image of the Page - 122 -
Text of the Page - 122 -
Tagebücher122
lärmen seyn wird, und er weiß der versammlung nicht zu imponiren wie
gagern. heute war eine volksversammlung in höchst, wo es sehr hitzig zu-
gegangen seyn soll, die stadt wimmelt schon wieder von turnern und an-
derm verdächtigen gesindel, und diesen Abend erwartete man ein spekta-
kel, was aber nicht eingetroffen ist.
Briefe aus Wien, welche an hiesige leute kamen, nennen mich wieder als
minister des Äußeren, das hoffe ich nicht,1 ich würde gar zu gerne jetzt ruhe
haben, mit einiger Arbeit, so z.B. den gesandtenposten in london etc.
[frankfurt] 26. Juni Abends
Als ich gestern schrieb, daß wir heute eine stürmische debatte haben wür-
den, ahnte ich nicht, daß es so weit kommen würde, als es gekommen ist.
die sitzung wurde heute damit eröffnet, daß 2 neue Amendements einge-
bracht wurden, eines von Auerswald, daß die centralgewalt einem deut-
schen Prinzen übertragen werde, und eines von heckscher, daß die natio-
nalversammlung „im vertrauen auf die Zustimmung der regierungen“ den
reichsverweser wähle. es war dieser Ausdruck des vertrauens die letzte
hinterthür, welche wir den regierungen noch wenigstens pro forma offen
lassen wollten, um nicht so geradezu die omnipotenz der nationalversamm-
lung zu erklären. soweit war durch gagerns rede schon unser standpunkt
verrückt, daß wir uns dieses gefallen ließen, während noch am freytag es
sich nur darum handelte, ob wir als summum der nationalversammlung
das ernennungsrecht über vorschlag der regierungen zugestehen wollten.
Als nun diese Amendemens vorkamen, erhob die linke einen ungeheuern
lärmen und behauptete, da die discussion bereits geschlossen sey, könnten
keine neue Amendemens eingebracht werden. darüber wurde dann mit der
größten erbitterung hin und her gestritten, ich bath Auerswald wiederholt,
seinen Antrag zurückzunehmen, umsonst, der mann mit seinem militäri-
schen eigensinn war nicht dazu zu vermögen. endlich vereinigte man sich
dahin, die entscheidung dem vorsitzenden soiron zu überlassen, und die-
ser entschied für die Zulässigkeit der Amendemens, indem er davon aus-
ging, daß die geschäftsordnung in dieser frage ohnehin schon verlassen
worden sey, da man am donnerstag sovielen Anderen das Wort abgeschnit-
ten und nur mehr 2 für jeden Antrag zugelassen habe, daß man sich daher
jetzt bloß nach gründen der Zweckmäßigkeit richten könne, und daß diese
dafür sprächen, Amendemens, welche der mehrzahl der nationalversamm-
1 ebda.: „man spricht schon wieder von mir als minister der Auswärtigen Angelegenheiten
in Wien […] ich hoffe, es ist nichts dran, jetzt wäre dieses für mich unangenehmer als je,
und die combinationen, unter denen ich trotz aller dévouements durchaus nicht eintreten
würde, nähmlich die halben, sind leider die wahrscheinlichsten.“
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien