Page - 126 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume II
Image of the Page - 126 -
Text of the Page - 126 -
Tagebücher126
Wahl annehmen könne, wie ich berichtet bin, wollte erzherzog franz carl
schon von innsbruck aus an Johanns stelle nach Wien gehen, und nur die
eifersucht der kaiserinn, welche darin einen schritt zur Abdication des
kaisers erblickte, verhinderte ihn daran, solchen Weiberlaunen aber hoffe
ich eher herr zu werden, als wenn es, wie ich fürchtete, die eigene furcht-
samkeit oder indolenz des erzherzogs gewesen wäre. erzherzog Johann
aber muß um jeden Preis kommen, käme er nicht, so hätten wir hier ei-
nen vollziehungsausschuß und in folge dessen bald auch die republik, in
deutschland wie in oesterreich.
in Paris ist gestern, wie heute hier, ein reichsverweser ernannt worden,
und zwar general cavaignac. die dinge scheinen sich einer restauration,
wahrscheinlich zu gunsten von Joinville, zuzuneigen, wieder ein schlag für
unsere republikaner.
gestern wurde die unverantwortlichkeit des reichsverwesers mit gro-
ßer mehrheit votirt, die linke hatte sich alle mögliche mühe gegeben und
intriguen gespielt, um uns zu bewegen, diesen Paragraph fallen zu lassen.
Aus Ärger votirte sie dann in masse (97 stimmen) gegen das ganze gesetz,
was, wie mir scheint, von ihrer seite ein großer politischer fehler war, so-
wie ihr heutiges verhalten bey der Wahl und unmittelbar nachher, wo vogt
und Andere durch Protestationen etc. ihrem Ärger luft zu machen suchten.
heute kleben schon an allen straßenecken Anschläge gegen die Wahl von
den democratischen vereinen (ronge, metternich, Bayerhoffer). dagegen
ist in der stadt großer Jubel. Abends zog musik durch die straßen, und
gagern hielt von meinem Balkone eine Anrede an das volk, ich war nicht
zu hause, sondern in einer soirée bey dem belgischen gesandten Briey.
Wien 6. July Abends
Wollte ich Alles, was ich seit 8 tagen erlebte, genau niederschreiben, so
würde ich stunden brauchen, während ich nicht einmal minuten zu meiner
disposition habe.
Am 30. um 1 uhr nachmittag, sowie wir das von der nationalversamm-
lung genehmigte Protokoll der sitzung vom 29. erhalten hatten, fuhren wir
von meiner Wohnung, wo sich die 7 deputirten (Jucho, heckscher, roten-
han, raveaux, saucken und francke) versammelten, ab, unter großem Zu-
laufen und hochrufe der menge. in Aschaffenburg besahen wir uns den
königlichen schloßgarten und das haus aus Pompeji, eine geschmacklose
spielerey könig ludwigs. Wir schliefen in esselbach.
Am 1. frühstückten wir in Würzburg, wo sich bereits eine menge herrn
aus der stadt bey uns einfanden und ein paar tischreden gehalten wurden.
von da an ging die sache immer steigend, und unsere reise wurde ein voll-
ständiger triumphzug. in Burgfarrenbach erwartete uns eine deputation
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien