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Juli 1848
camphausens Weigerung setzte uns Alle in große verlegenheit, ein
Preuße sollte Premier werden, aber wer? erzherzog Johann schrieb dem
könige und bath ihn, Jemanden nahmhaft zu machen, einstweilen sollte
schmerling das innere und Äußere zugleich haben. für den krieg war Peu-
ker, für die Justiz molitor aus Bayern bestimmt, aber die Bayern, mit denen
ich sprach, meinten selbst, er sey kein hinreichendes parlamentarisches
talent, und ein anderer Bayer, der fähig gewesen wäre ein Portefeuille zu
übernehmen, fand sich nicht. heckscher wollte man seit seiner letzten rede
nicht, obwol ich ihn in Wien dem erzherzog für ein ministerium empfohlen
hatte. mathy wird finanzminister, doch erst in einigen Wochen, um ihm
gelegenheit zu geben, sich von seiner unpopularität zu erholen, welche
schlimm genug seit seinem unerschrockenen Benehmen in der fickler-
schen sache auf ihm lastet.1 duckwitz soll handelsminister werden.
Am 14. wurde endlich die Sache vorläufig ins Reine gebracht. Schmer-
ling, Peuker und dann doch heckscher sind vor der hand minister. gagern
setzte es in einer vormittagsconferenz durch, daß erzherzog Johann hier
bleibe, indem er von einem sturme in der versammlung, von der nothwen-
digkeit, einen stellvertreter durch die nationalversammlung ernennen zu
lassen, und ähnlichen unsinn schwatzte. der courier nach Wien mit dieser
nachricht war schon abgefertigt und der erzherzog in einer entsetzlichen
Agitation, sprach davon, daß er in der nacht abreisen wolle etc. da ging ich
nachmittags zu schmerling, wo die 3 minister ganz trost- und rathlos ver-
sammelt waren, und drang mit meiner eigenen entschiedenheit durch, es
sey eine persönliche sache für uns, die wir ihm in Wien unser Wort gegeben
hätten, man würde ihn abreisen lassen, und interpellirte heckscher dar-
über. der erzherzog müsse abreisen, aus gründen der höchsten nothwen-
digkeit für oesterreich, ungarn und croatien, deren differenzen er zu
schlichten habe, das ministerium und der reichsverweser dürften nicht
damit anfangen, vor einem eingebildeten sturme in der versammlung zu
weichen etc. Da fielen mir dann alle 3 bey, und es ward sogar beschlossen,
aus der sache eine cabinetsfrage zu machen. es gingen dann gleich zwey
von uns zu gagern, um ihm diesen entschluß zu eröffnen, zugleich traf ich
Anstalt, daß am Abende in den verschiedenen clubs die sache vorgetragen
und sich ihrer unterstützung vergewissert ward. sodann ging ich zum erz-
herzog, mit dem ich eine lange unterredung hatte. der glücklichste coup
war aber der, daß ich ihn bewog, sogleich ins theater zu gehen, was er auch
in meiner Begleitung und von einer ungeheuren menschenmenge gefolgt
that, und aus der loge herab seinen vorsatz, auf kurze Zeit abzureisen, so-
1 Zur rolle von karl mathy bei der verhaftung von Josef fickler am 8.4.1848 in karlsruhe
vgl. eintrag v. 23.4.1848.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien