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Juli 1848
[frankfurt] 25. Juli Abends
Wir haben jetzt einige interessante sitzungen gehabt: die eine über
deutschlands auswärtige verhältnisse, wo die linke wieder ihre sympa-
thieen für frankreich auskramte, übrigens war die debatte im ganzen
sehr würdig gehalten, unsere versammlung hebt sich immer mehr. das
ministerium zeigt den besten Willen, obwol es bis jetzt eigentlich bloß aus
schmerling und Peuker besteht, fast in jeder sitzung steigt schmerling
auf die tribüne und erzählt, was er Alles seit der letzten sitzung schö-
nes und Vortreffliches gethan, er besitzt Klarheit, Muth und Unbefangen-
heit der Auffassung, doch imponirt er nicht und ist überhaupt nicht à la
hauteur seiner stellung. Peuker hat sich bis jetzt noch gar nicht verneh-
men lassen. die vervollständigung des ministeriums kann erst nach der
rückkehr des reichsverwesers erfolgen, und diese ist nun leider wieder
aufgeschoben, bis jetzt ist soviel gewiß, daß duckwitz handels-, mathy fi-
nanzminister wird, für den Premier (welchen schmerling gerne ganz be-
seitigen und selbst de facto premier bleiben möchte) und das Auswärtige
haben wir noch niemand. Auch die unterstaatssekretaire haben wir nun
schon so ziemlich beysammen, wobey ich stark mitgeholfen habe. von mir
spricht man in der stadt und in Zeitungen als reichsgesandten nach Pa-
ris, woher das gerücht kommt, weiß ich nicht, es wäre mir dieses ganz er-
wünscht, wiewol ich lieber das Portefeuille des Auswärtigen übernehmen
würde, was aber schon deßwegen unmöglich ist, weil dann 2 oesterreicher
die wichtigsten ministerien inne hätten. ich habe mir hier, ohne es selbst
zu wissen wie?, eine reputation von milde und versöhnlichkeit gemacht,
welche mir viele freunde und kaum einen einzigen feind erworben hat.
das hat wohl darin seinen grund, daß ich mich bisher noch sehr wenig
ausgesprochen habe, was wieder darin liegt, daß mein interesse an der
ganzen sache mehr ein beobachtendes, zuwartendes ist. es wird mir im-
mer klarer, daß ein Anschluß (recte Aufgehen) oesterreichs an deutsch-
land, sowie man sich ihn hier denkt, der untergang der österreichischen
monarchie wäre, und den will ich nicht, wenigstens nicht so lange ich
lebe, oft kömmt mir vor, als sey ich dazu bestimmt, der letzte oesterrei-
cher zu seyn, die monarchie noch einmal zu einem kräftigen glänzenden
Aufschwunge zusammenzufassen – auf wie lange? wird sich dann zeigen.
meine rolle kann dann eine große, historische werden, in einem einigen
deutschland wird und muß sie eine untergeordnete bleiben. ich erwarte
die rückkunft Wessenberg’s, welcher auf einige tage nach freiburg nach
hause gegangen ist, um diesen gegenstand gründlich mit ihm durchzu-
sprechen, denn seine Ansicht als die des vielleicht competentesten ist mir
sehr wichtig, und hierauf werde ich es mir dann überlegen, ob und welche
schritte zu thun sind.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien