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Tagebücher148
ob sie deutschlands mediation annehmen würden, ist die frage. hohe Zeit
aber ist, daß etwas geschehe, um diesem kriege ein ende zu machen, und
ebenso, daß das hiesige ministerium sich consolidire, denn wir binden jetzt
nach und nach mit aller Welt an und haben niemand, der unsere sache
führen soll.
[frankfurt] 4. August Abends
gestern Abend 10 uhr kam erzherzog Johann an, mit frau und kind, ich
hatte ihn nebst nobili, Wessenberg etc. im russischen hofe erwartet, mit
mir 1000 weißgekleidete häßliche Jungfrauen mit Blumensträußen und
gedichten. dann wurde mir aber die sache langweilig, und ich ging zu grä-
finn Bergen. Heute früh war ich lange beym Erzherzog, in Wien scheinen
die dinge passabel zu gehen, das ministerium steht gut, der reichstag ist
besser als man dachte, die kroatischen geschichten scheinen auch so übel
nicht, denn die ungarn, welche schon mehrere schlappen erlitten, fangen
an kleiner beyzugeben, doch gesteht der erzherzog selber, daß Jellachich
nicht herr der kroatischen Bewegung ist, der kaiser will innsbruck durch-
aus nicht verlassen, und eine Abdication von ihm und franz carl scheinen
imminent. erzherzog Johann sprach mir viel von der Bewegung in der öf-
fentlichen meinung zu seinen gunsten, natürlich mit großen Protestatio-
nen, que l’on s’y fie??! – – – –
von mir sprach er mir auch, wegen eines gesandtschaftspostens, und ich
erklärte ihm und Wessenberg, daß ich einen solchen nur dann annehmen
würde, wenn ich zugleich oesterreich zu repräsentiren hätte. in den aus-
schließlichen dienst von deutschland will ich nicht treten, ein rückschlag
gegen die deutsche Absorbirung dürfte auch in oesterreich über kurz oder
lang eintreten (ja ich wünschte, daß dieses bald und nachhaltig geschähe),
und dann will ich nicht als compromittirter dastehen.
das ministerium ist endlich nach unzähligen intriguen und Plänkeleyen
heute Abends formirt, recht gut, leiningen premier und Äußeres (eine
excellente Wahl, hauptsächlich wegen england1), schmerling inneres,
heckscher Justiz, Peuker krieg, Beckerath finanzen, duckwitz handel.
schmerling hat durch sein ungeschicktes Benehmen und durch seine Ar-
roganz, qui sent le parvenu à 100 pas, in letzter Zeit viel terrain verloren,
er wäre gar zu gern wenn auch nicht dem nahmen nach, so doch de fait
premier geworden.
die beyden hauptfragen sind jetzt schleswig und italien. Preußen dringt
auf frieden oder doch Waffenstillstand mit dänemark, weil der krieg seine
nordprovinzen ruinirt, ebenso england, welches zu diesem Zwecke lord
1 ministerpräsident fürst karl leiningen war ein halbbruder von königin victoria.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien