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1539.
August 1848
velleitäten des tyrannisirens, immer auf stelzen gehend und eine langwei-
lige wandelnde tragödie.
Ich bin, obwol es mir officiell noch nicht mitgetheilt wurde, nach London
ernannt, mir der liebste Posten, nur 2 dinge sind mir noch unklar: wird
moritz dietrichstein nicht abberufen und ich sein nachfolger, so wäre mir
dieses aus den bereits entwickelten gründen unangenehm, und dann, in
welcher eigenschaft werde ich dort erscheinen, da england die centralge-
walt noch nicht förmlich anerkannt hat. lord cowley, welcher seit einigen
tagen hier ist und ein haus auf ein Jahr gemiethet hat, nennt sich auf sei-
nen karten: envoyé extraordinaire auprès de le confédération helvétique,
et chargé d’une mission auprès de s.A.i. l’Archiduc Jean d’Autriche, was
bedeutet dieses?
übrigens bin ich herzensfroh, daß ich von hier weg komme. die ereig-
nisse hier nehmen einen gang, der mir durchaus nicht gefällt, und ich
habe auch das interesse daran verloren, seit es mir klar geworden ist,
daß oesterreich, wenigstens unter diesen Bedingungen, und vielleicht un-
ter keinen, nicht bey deutschland bleiben kann. die Preußen, welche bey
deutschland bleiben müssen, haben ein interesse daran, an diesen Bedin-
gungen möglichst viel abzudingen, wir nicht, da die ganze Basis eine für
uns unannehmbare ist, so ist es mir sogar lieber, sie tritt recht grell hervor.
Auch spreche ich im verfassungsausschusse kein Wort mehr. radetzky soll
schon auf piemontesischem Boden seyn und den frieden in turin dictiren
wollen. und frankreich?!
[frankfurt] 9. August
intriguen über intriguen. um den Würtembergerhof, welcher gegen das
neue ministerium sich erklären wollte, zu gewinnen, ist man mit ihm in
unterhandlung getreten. das facit war, daß man 3 mitglieder desselben
ins cabinet nahm, und zwar rob. mohl als Justizminister, fallati und
Widenmann als unterstaatssekretäre, in folge dessen hat heckscher das
Portefeuille des Auswärtigen übernommen, und leiningen (der sich ziem-
lich schwankend gezeigt haben soll) bleibt premier ohne Portefeuille. die
unterstaatssekretäre werden aber keine stimme im conseil haben.
das schlimmste für mich kommt aber noch. heckscher, welchen lich-
nowsky durch seine Zudringlichkeit und keckheit eingeschüchtert hat,
wollte diesen als gesandten nach Petersburg schicken. dagegen erklärten
sich nun der erzherzog, ein theil des ministeriums und der Würtemberger-
hof, nun will heckscher, um sich vor lichnowskys vorwürfen zu retten, alle
drey diplomatischen ernennungen fallen lassen und sich mit der opposi-
tion des Würtembergerhofes entschuldigen, ich aber habe höchlichst gegen
diese solidarische maßregel protestirt und bestehe darauf, daß meine er-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien