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Tagebücher154
nennung nach london unverändert bleibe, wir werden nun sehen, wer den
sieg davon trägt. heckscher sprach mir mit sichtlicher verlegenheit davon,
schob natürlich die ganze schuld auf den Würtembergerhof, obwol er selbst
gestand, daß dieser gegen mich gar keine einwendung erhoben habe, und
meinte endlich, man wisse von mir nicht recht, wie ich es mit der deutschen
sache meine, da ich mich bis jetzt immer so passiv verhalten hätte (Aha!)
etc., übrigens werde er sein möglichstes thun etc., so schieden wir.
[frankfurt] 12. August Abends
Meine Ernennung nach London ist nun officiell, sie wurde vorgestern
Abends im ministerrathe beschlossen, gestern erzählte es mir schmerling,
und erst heute sprach Heckscher mir officiell davon und wollte sich mir
gegenüber ein verdienst daraus machen. Auerswald geht nach rußland,
raumer (eine misérable Wahl, wie mir scheint) nach Paris. noch soll nach
schweden und in radetzkys hauptquartier Jemand geschickt werden.
heute nachmittag waren wir 3 gesandten im ministerrathe anwesend,
um das nähere festzusetzen, ich wollte schriftliche instructionen haben.
heckscher aber meinte, da wir vor der hand eigentlich nichts Anders zu
thun hätten, als die Notificationsschreiben des Erzherzog Johann zu über-
bringen und den Regierungen eine allgemeine und vorläufige Schilderung
der deutschen Zustände und der An- und Absichten des hiesigen ministe-
riums zu machen, so sey eine solche instruction nicht nothwendig, und
er könne uns in einer halben stunde mündlich von Allem, was das cabi-
net bisher gethan, in kenntniß setzen. es wurde dann über unsere titel,
geldfrage, Zeit der Abreise und dgl. debattirt. raumers und meine Abreise
wurden als sehr dringend anerkannt, wegen der schleswigschen frage und
der in italien, jedoch erhoben sich große schwierigkeiten wegen der Aus-
fertigung unserer Beglaubigungsschreiben in formaler hinsicht, indem
es hier an einer diplomatischen kanzley, an formularien, französischen
concipienten etc. gänzlich fehlt. überhaupt machte mir der ministerrath
den eindruck eines haufens von Anfängern und Professoren, welche über
alle formfragen, die ich zu ihrer großen ungeduld wiederholt in Anregung
brachte, mit ein paar floskelhaften Phrasen hinwegzukommen glauben, so
schmerling, Beckerath und heckscher, weniger mohl, duckwitz und lei-
ningen. Was sehr ungelegen kömmt, ist das dombaufest in cöln, wohin
morgen früh der erzherzog, 5 minister, darunter heckscher, absegeln. die
nationalversammlung schickt eine deputation von 25 mitgliedern, gagern
an der spitze, und ich gehöre auch dazu, wir sollten Alle auf einem schiffe
mit dem erzherzog fahren, ich habe mich aber noch im letzten Augenblicke
davon losgemacht, weil ich wahrhaftig nicht Zeit habe, bis morgen früh
Alles zu besorgen und gleich von cöln aus nach london weiter zu reisen,
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien