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August 1848
Auch Wessenberg habe ich einigemale gesprochen und von ihm mehr als von
allen übrigen gelernt und erfahren. er geht nun morgen nach Wien.
meine Aufgabe wird keine so ganz leichte seyn. die verhältnisse wer-
den immer verworrener, die unglückliche schleswiger geschichte und die
limburgerfrage voran. in ersterer hat uns schmerlings schwadronniren
von der tribüne am 1. August sehr geschadet,1 und wir werden zu thun ha-
ben, um das wieder ins geleise zu bringen. rußland und england sprechen
ganz entschieden für dänemark, und norddeutschland, welches der krieg
zu grunde richtet, ist im Begriffe, sich förmlich zu widersetzen. Wrangel
will keine truppen haben, weil sie ihm ohne flotte nichts nützen, und man
dringt ihm 25.000 mann auf, darunter 8.000 oesterreicher, wo wir doch
unsere truppen jetzt nicht entbehren können.
in italiens Angelegenheiten ist der vermittlungsantrag von england und
frankreich directe nach Wien gegangen, es scheint, daß die minciolinie,
der Ersatz der Kriegskosten und finanzielle Arrangements die Basis bilden
werden. modena und Parma sollen wieder hergestellt werden und die lom-
bardie zum theile an toskana, zum Andern an Piemont fallen. die mai-
länder haben sich als hunde, die sie sind, benommen, feig und undankbar
zugleich.
es scheint nicht, daß die europäischen großmächte an ein Zustandekom-
men unserer hiesigen einheitsversuche glauben, z.B. hat england gegen
eine Abberufung des österreichischen und preußischen gesandten prote-
stirt, ich hoffe und wünsche, den österreichischen Posten in london zu er-
halten, der wäre mir lieber als mein jetziger, sauf tout le respect.
[frankfurt] 16. August Abends
heute Abend ist der reichsverweser von cöln zurückgekommen, ich hoffe
daher, übermorgen früh expedirt zu werden, ich wäre gerne bald in lon-
don, da ich meine Anwesenheit dort der italienischen frage wegen für sehr
dringend [halte], diese scheint sich übrigens gut zu gestalten. frankreich
scheint nicht die geringste Lust zum Kriege zu haben. Die offiziellen und
halboffiziellen französischen Blätter fordern geradezu Deutschland zur Mit-
vermittlung auf, arbeiten uns also in die hände. radetzky hat einen 45tä-
gigen Waffenstillstand mit carl Albert geschlossen, dagegen hat Welden
den unglücklichen gedanken gehabt, Bologna zu besetzen, was zu neuen
complicationen führen kann. hartig vater ist hier und läuft mir nach, wo
er mich findet – ! – quantum mutatus ab illo Hectore, vor sechs Monathen
trug er darauf an, mich verhaften zu lassen!
1 richtig am 31.7.1848, vgl. einträge v. 2. und 4.8.1848. Andrian hatte an der sitzung nicht
teilgenommen.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien