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Tagebücher158
der kaiser ist in Wien mit Jubel empfangen worden, wir wollen sehen,
wie lange das dauert, übrigens steigen unsere Papiere gewaltig, und die
Bank soll die unbeschränkte einwechslung ihrer noten nächstens wieder
aufnehmen. Auch rothschild sprach mir neulich ganz günstig von unseren
finanzen. gott gebe es.
gestern war ich mit nobili, vandersteen und thienen in homburg, und
hatten ein diner en partie fixe mit einer Mad. Divant, einer femme entrete-
nue aus Paris, welche den neuen Ambassadeur, d.h. mich, ihrer besondern
Aufmerksamkeit würdigte und morgen sogar hereinkömmt, was mir sehr
ungelegen ist. Übrigens fange ich an, für Gräfinn Bergen menschlich zu
fühlen, wer weiß was geschähe, wenn wir noch lange beysammen blieben,
sie geht nach scheveningen, ich hoffe übermorgen, also bis köln mit mir, sie
ist eine unendlich liebenswürdige vortreffliche Frau, zu der ich mich sehr
hingezogen fühle. Zu andern Zeiten, und hätte ich mehr geld, würde ich
vielleicht sogar sogenannte ernstliche Absichten gehabt haben.
[frankfurt] 18. August Abends
ich reise also morgen ab, und zwar der erste. frankreich scheint noch nicht
recht entschlossen zu seyn, ob und wie es den reichsgesandten aufnehmen
soll (es ist überhaupt am mißgünstigsten für die deutsche einheit), und so
wird raumer erst in ein paar tagen [reisen], und ich soll durch eine mög-
lichst schnelle und glänzende Antrittsaudienz bey der königinn den Weg
bahnen und frankreich kirre machen. Auerswald geht noch später, weil
man erst von rußland Antwort haben muß, ob der kaiser einen gesandten
von hier empfangen wird.
Wegen italien hat sich das Blatt sonderbar gewendet. frankreich will,
daß wir mailand abtreten und die minciolinie behalten. england meint,
wir hätten das volle recht, Alles zu behalten, und da venedig uns ohne-
hin bleiben soll, so könne von dem Princip der nationalität doch nicht
mehr gesprochen werden. da es aber einen rückschlag in frankreich zu
gunsten der kriegslustigen antisozialen Partey und in dessen folge eine
allgemeine Conflagration fürchtet, so wünscht es, daß oesterreich unter
guten Bedingungen die lombardie abtrete, und hat zu diesem ende auch
die verwendung der centralgewalt nachgesucht. da soll ich nun klug und
vorsichtig auftreten, england, unsern besten Alliirten, in jeder Art gün-
stig zu stimmen versuchen, um in schleswig mit ehren herauszukom-
men. Aus derselben ursache soll ich sicilien ganz fallen lassen, obwol ich
heute von Antonini scharf aufs korn genommen wurde, mich des königs
von neapel anzunehmen, welchem auch wirklich ein himmelschreyendes
unrecht geschieht, wenn man ihn hindert, das rebellische sicilien zu be-
zwingen.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume II
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- II
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 716
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien