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Jänner 1854
um 1/2 6 fuhren wir ab, heim- und nordwärts. das Boot sieht nun ganz
anders aus, das ganze verdeck bis zu unserer cabinenthür ist von den ru-
derern eingenommen, so daß wir nun nicht mehr wie früher auf dem ver-
decke sitzen können und nebstdem den monotonen gesang der leute den
ganzen tag dicht vor unserer thür haben. Beydes ist sehr unbehaglich, so
daß ich fürchte, unsere rückreise wird weit weniger comfortable seyn als
die herfahrt. Als wir diesen morgen erwachten, fanden wir uns schon seit
mehreren stunden vor ferayg, gegenüber von ipsambul geankert. hier sa-
hen wir uns einen kleinen ägyptischen tempel an, welcher später von den
christen (die in den ersten Jahrhunderten in nubien sehr zahlreich waren)
übermalt worden war. Am Plafond ist die figur des heilands und Johanns
des täufers noch vollkommen wohl erhalten.
von da fuhren wir nach ipsambul hinüber und besahen uns die 2 tem-
pel, dießmal bey tageslicht, wodurch ich erst eine idee und einen überblick
davon gewann, sie sind beyde mit riesenhafter Arbeit in die felsen hinein-
gehauen, es ist ein wahrhaft stupendes Werk. die dimensionen der 4 fi-
guren am eingange des großen tempels sind von der Art, daß ich aufrecht
stehend von der unterlippe bis zur halben stirne reichte! leider ist auch
hier Alles mit nahmen bekritzelt, von bekannten fand ich Pückler muskau,
herzog max in Bayern, Busek, uexküll etc., litta.
[am nil nördlich von korosko] 22. Jänner
diese nacht kamen wir nach derr. heute morgen gingen wir uns den ort
und den tempel besehen, letzterer ist klein, aber ziemlich gut erhalten. im
orte, wo uns die ganze, namentlich die jugendliche Bevölkerung nachlief,
sahen wir das haus des hassan kaschef, jetzt seinem sohne soliman ge-
hörig, den großen Baum vor seinem hause, ganz als primitiver könig, und
daneben eine Art offener stall, sein divan und Audienzzimmer.
es waren eben 2 Bewohner von derr, wahrscheinlich der Aristocratie
angehörig, gestorben, und da waren förmliche lagerzelte aufgeschlagen, in
denen die Beyleidbesucher Platz nahmen, schliefen, rauchten, lagerten etc.,
für den einen wurde eben der sarg mit dattelzweigen bekränzt. Aegypten
und nubien sind länder, in denen man sterben sollte, nirgends werden den
todten mehr ehren erwiesen. Alle tempel, gräber, grotten, Pyramiden
etc. sind den todten gewidmet, desto übler geht und ging es wohl immer
den lebenden.
man sieht hier viele weiße und halbweiße gesichter, Abkömmlinge
der Bosniaken, welche sultan selim 1517 hier hinterließ. Auch hassan
kaschefs familie ist bosnischer Abkunft.
eine halbe stunde nachdem wir unter großem tumulte und Bakschisch-
geschrey von derr abgefahren waren, landeten wir auf einen Augenblick in
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien