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3127.
Jänner 1854
Philoë ist eine ganz kleine insel, welche mit ruinen eines großartigen
tempels vollständig bedeckt ist, eine mauer mit mehreren terrassen läuft
um die ganze Insel, auf der Südseite eine magnifique doppelte Colonnade
als Avenue, mit Ausnahme von karnak die schönsten und grandiosesten
ruinen egyptens und noch recht gut erhalten. im übrigen nichts als sand
und schutthaufen, also von vegetation keine rede, jedoch die gegend ro-
mantisch wild und schön. Wir fanden mehrere Amerikaner, u.a. damen.
nachdem wir uns diese ruinen mit muße angesehen hatten, setzten wir
nach der insel Biggeh über, wo ein kleiner tempel und ein paar mehr oder
weniger zertrümmerte colosse stehen, und warteten hierauf auf felsblök-
ken herumsitzend die Ankunft unseres Bootes ab, als sich aber diese verzö-
gerte, ja das Boot noch immer nicht sichtbar wurde, ruderten wir in unserm
sandal dahin zurück und kamen gerade um sonnenuntergang an Bord.
Jetzt, um 9 uhr Abends, ankern wir oberhalb Philoë, dicht am eingange
der cataracte, die wir morgen zu passiren hoffen.
ein unangenehmer Zwischenfall ereignete sich diesen Abend, indem mi-
chele1 zweymahl hintereinander krämpfe oder vielmehr epileptische An-
fälle bekam.
[am nil nördlich von Assuan] 27. Jänner
Ein größerer Kontrast ist nicht leicht zu finden als zwischen der nichtsnutzi-
gen grundsatzlosen halbaufgeklärten liederlichkeit micheles (welcher drey
gleich schlechte eigenschaften in sich vereinigt: die eines neapolitaners,
eines katholiken und eines „guten kerls“) und der beschränkten einseiti-
gen Würde mohammeds, es amusirt mich oft, von Weitem den beständigen
Wortwechseln und Principienstreitigkeiten dieser beyden repräsentanten
von orient und occident zuzuhören.
gestern früh sah ich mir eine kleine caravane aus dem sudan an, wel-
che vor unserm Boote gelagert war, sah aber nicht viel neues außer Bogen,
eisenbeschlagenen Pfeilen und ein paar Windhunden aus jenem lande.
gleich nachher, gegen 1/2 8, fuhren wir ab, die cataracte hinunter, was
dießmal mit mehr ordnung und weniger geschrey geschah, da wir im
ganzen dazu höchstens an 20 menschen brauchten, das kleine Boot fuhr
als rettungsboot und Wegweiser voraus, die übrigen ruderten, steuerten,
schrieen und betheten. Wir kamen schon nach ein paar minuten an die
große cataracte (wir fuhren nämlich dießmahl einen anderen Weg als frü-
her), die wir mit einer erschreckenden schnelligkeit hinabfuhren, während
das Boot tanzte wie ein Ball, und das Wasser zu beyden seiten herein-
schlug, es war ein schöner stirring Augenblick. Als wir drüben waren, war
1 Andrians italienischer diener, den er für die nilfahrt aufgenommen hatte.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien