Page - 45 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume III
Image of the Page - 45 -
Text of the Page - 45 -
4515.
Februar 1854
die menschen, welche von nahe oder weit dabey betheiligt gewesen sind,
eine Empfindung, die für mich freylich nichts weniger als neu ist, ein neues
item kömmt zu der rechnung hinzu, welche ich seit 5 Jahren führe, und
von welcher nichts gelöscht werden kann, es sey denn auf eine Art.
ich kann nicht einmahl sagen, daß ich diesen gewaltstreich für mich für
folgenreich, selbst nicht für die nächste Zukunft ansehe. Bey der inconse-
quenz und miserabilität jener menschen ist auch das unwahrscheinlichste
möglich, und ich würde nicht mehr den don Quixote spielen, sondern für
den Augenblick hinunterschlucken und annehmen, denn das ist der Weg,
den mich die vorsehung gehen läßt, um dahin zu gelangen, wo sie mich
haben will, daran glaube ich.
ich schrieb noch schnell, da die Post heute abging, an gabrielle, um sie
zu beruhigen, indem die Arme die sache sehr tragisch zu nehmen scheint.
[cairo] 15. februar
die ruhe des hiesigen lebens thut mir nach der 2monatlichen nilreise
sehr wohl, besonders aber, daß ich endlich allein und herr meiner Bewe-
gungen bin. ich bin zwar mit meinen beyden reisegefährten ziemlich gut
ausgekommen, doch waren es höchst unbedeutende menschen, mit denen
durchaus nichts Anderes als leeres Zeug zu sprechen war. freeman ein
mann, für den das Wort snob erfunden worden zu seyn scheint, in vie-
len Beziehungen unangenehm und vulgar, fletcher ein junger unbedeu-
tender unwissender Bursche, der dabey nicht einmahl die gutmüthigkeit
und gute laune seines Alters besaß. Würde ich diese reise noch einmahl
machen, was gewiß nicht geschehen wird, so würde ich sie wahrschein-
lich allein, sonst aber jedenfalls mit engländern unternehmen. menschen
anderer nationen sind, wenn sie nicht sehr angenehm sind, vollkommen
unausstehlich.
meiner gesundheit scheint diese reise sehr wohlgethan zu haben, jede
spur von unwohlseyn ist verschwunden, mit Ausnahme einer mir uner-
klärlichen schwäche in den schulter- und schlüsselbeinknochen, so daß
ich noch immer bey der geringsten heftigeren Bewegung der Arme einen
unerträglichen schmerz wie bey einer verrenkung spüre.
die temperatur ist hier bedeutend kälter als auf dem nile, und zum
erstenmahle seit 2 monathen habe ich in diesen tagen wieder Winterbein-
kleider anziehen müssen.
heute und gestern ist das hôtel mit neuangekommenen aus indien über-
füllt, zum glücke gehen sie morgen alle weiter nach Alexandrien, etwas
großartiges hat dieser englische menschenschwarm, der sich 4mahl des
monathes zwischen england und indien hin- und her wälzt, doch. louise
santAntimo ist heute fort, schien mir auszuweichen und war dieselbe, die
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien