Page - 61 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume III
Image of the Page - 61 -
Text of the Page - 61 -
6118.
März 1854
franziskanerkloster in Wien (jetzt Pater seb. marzek) einkommen. Aus
frankreich kommt beynahe gar nichts, obwol dieses in folge eines trac-
tates mit der Pforte aus der mitte des vorigen Jahrhundertes das Protek-
torat über die heiligen orte ausübt und darin von uns und den andern ka-
tholischen mächten wenigstens stillschweigend anerkannt wird. nun ist
seit einigen Jahren zum erstenmahle ein Patriarch hier ernannt, welcher
ein leidenschaftlicher Anhänger der Franzosen und ihres Einflusses ist,1
ebenso entschieden aber stehen die klöster auf österreichischer seite, we-
gen des schutzes und hauptsächlich des geldes, das sie von uns erhalten,
es gibt nämlich in Palästina keinen secularclerus und auch mit Ausnahme
eines carmeliterklosters am mtcarmel keinen andern orden als die fran-
ciscaner seit 600 Jahren, welche 23 klöster in Bethlehem, Jaffa, ramle, na-
zareth, damascus etc. mit etwa 800 mönchen und layenbrüdern besitzen
und Alle, inclusive cairo und unteraegypten, unter dem hiesigen kloster
und dessen superior (guardian des s. sepolcro e custode di terra santa),
jetzt einem sehr gescheidten mönche, Padre Bernardino di montefranco,
stehen. Alle gelder, die hieher kommen, kommen daher an sie, welche sie
zur erhaltung dieser klöster (die kein oder fast kein vermögen besitzen),
zur seelsorge, für ihre kirchen und hauptsächlich zur unterstützung der
katholischen Bevölkerung (1200 bis 1500 hier, 2000 in Bethlehem und noch
etwa 2000 im heiligen lande zerstreut) und der katholischen Pilger an-
wenden, so z.B. eben in der casa nova, wo ich bis gestern wohnte. ich habe
überall nur gutes von diesen exemplarischen mönchen gehört, welche als
volontairs aus allen ländern europas hieher kommen (mindestens auf 6
Jahre), um hier alle möglichen entbehrungen zu dulden.
Zwischen diesen klöstern und dem Patriarchen besteht nun der heftig-
ste kampf, und hinter ihnen stehen oesterreich und frankreich. dabey
hat der Patriarch sein geistliches übergewicht, die klöster den umstand
für sich, daß sie und nur sie mittel besitzen. der hauptplan des Patriar-
chen nun ist, die seelsorge den franziskanern zu entreißen und sie theils
französischen Weltgeistlichen, theils eingebornen erst zu bildenden Prie-
stern zu übergeben. mit ersteren hat er in Bethseda nächst der stadt einen
versuch gemacht, indem er da eine neue filiale errichtete, doch wurden
diese nach manchen scandalösen excessen von seiten der griechen wieder
eingezogen, und der Patriarch mußte sogar nach Jaffa flüchten, wo er noch
weilt. in letzterer Beziehung hat er ein seminar errichtet und französische
Professoren angestellt, er verlangt sogar Beyträge dazu von den francisca-
nern, die sich dessen natürlich weigern.
1 seit 1847 residierte mit giuseppe valerga erstmals seit dem ende des 13. Jahrhunderts
wieder ein lateinischer Patriarch in Jerusalem.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien