Page - 68 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume III
Image of the Page - 68 -
Text of the Page - 68 -
68 Tagebücher
Baltische flotte ausgerüstet, die griechen in epirus, thessalien etc. sind
aufgestanden, von oesterreich nichts positives, als daß der curs auf 31
steht!! hätte ich schafskopf im november mein geld zu 15 in Baarem mit-
genommen, anstatt mir, wie ich that, einen credit geben zu lassen!
das haus des caiphas ist jetzt ein armenischer convent und kirche,
worin der stein des heiligen grabes gezeigt wird, welcher angeblich gestoh-
len, hier stille stehen blieb und nicht weiter zu bringen war. das coenacu-
lum ist der gothische säulenvorhof (!) einer moschee, welche davids grab
umschließt. hier aber, als in einer heiligen stadt der muselmänner, darf
kein giaour1 in eine moschee.
die protestantischen missionsschwestern, bey denen ich gepreßte Blumen
etc. kaufte, sind sehr artige gebildete frauen, ihr gespräch und Äußeres
machte einen wohlthuenden eindruck auf mich, wo ich mit dem Protestan-
tismus in Berührung komme, bewegt er mich tief und mit jedem Jahre tiefer.
von religion hört man hier hauptsächlich intriguen und rangstreit, les
gros des affaires du jour sind nun die geschichte von Begalla, wo der Patri-
arch und das französische consulat für die den ersteren angethanen insul-
ten keine genugthuung erhalten kann2 (zur großen freude der frommen
franziskaner), und die kirchenhonneurs, welche der neuernannte spani-
sche consul im kloster zu Jaffa erhielt, worüber das französische consulat,
welches sie allein anspricht, feuer und flamme speit.
gestern als einem freytage gingen wir gegen 3 uhr nachmittag zu der
stelle, wo die Juden an den mauerresten des tempels salomo’s (andere
sagen, diese ruinen rührten von dem 2. Aufbaue unter den makkabäern,
andere, von dem 3. und letzten unter herodes her) wehklagen, ein merk-
würdiges und interessantes schauspiel, diese Juden aus allen Welttheilen
hier beysammen zu sehen, die hauptklassen sind die polnischen (öster-
reichische und russische, welche letztern aber von ihrer regierung aufge-
geben worden sind) und die spanischen, die seit 300 Jahren hier sind, halb
zu Arabern wurden, unter sich aber noch spanisch sprechen.
von da ging ich in die klosterkirche und beichtete bey Pater Andreas, ich
hatte Anfangs nicht daran gedacht, mich aber dann dazu entschlossen, weil
ich sah, daß ich sonst Ärgerniß und bey den guten franziskanern Betrüb-
niß erregt hätte, als ungefähr die einzige persona di riguardo, welche ge-
genwärtig hier ist. heute früh communicirte ich am calvarienberge in der
heiligen grabkirche und erhalte nun mein Pilgerdiplom, das mich für mein
leben lang zum heiligen manne stempelt, sammt einer schweren menge
1 ungläubiger.
2 es handelte sich um die flucht des lateinischen Patriarchen giuseppe valerga nach Jaffa,
vgl. einträge v. 18. und 29.3.1854.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien