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März 1854
wollten, kam ich in das gasthaus des dimitri carà, welches ganz vortreff-
lich ist, besonders reizend sind die vielen marmorgepflasterten Terrassen
mit Blumen etc. Alle Welt geht hier am Abend auf den dächern spazieren,
ein eigenthümlicher Anblick. ich fand hier eine menge Bekannte, fletcher,
Bouverie, tower, heute früh m. rogier etc.
diesen morgen machte ich eine herrliche Promenade am ufer des mee-
res, es ist eine paradiesische gegend, nach dem frühstücke besuchte ich
Gödel, war aber sehr disappointirt, keine Briefe Gabrielles zu finden, weder
von der 2. februars- noch der 1. märzpost, was ich mir nur durch eine un-
geschicklichkeit schaefers in Alexandrien erklären kann, überhaupt keine
Briefe als einen von Augusta [horrocks], welcher ich von Jerusalem aus
geschrieben habe und ihr einmahl für immer vom herzen weg gesprochen
habe, sans lieux communs ni phrases. Jerusalem erinnerte mich an meine
Kindheit, an meine Jugend und folglich an sie, und so wollte ich eine Pflicht
der freundschaft abtragen und sie au fait setzen von manchen dingen, die
bisher ungesagt geblieben waren.
noch ein schreiben fand ich hier, vom oberstkämmereramte vom 24. de-
zember, worin mir auf Befehl seiner majestät bedeutet wird, daß mir und,
falls ich einstmals eine hoffähige gattin heimführen sollte, auch dieser der
hof und mir bis auf Weiteres die öffentliche Ausübung der Prärogativen
(welche?!) eines kk. kämmerers untersagt sey.1 – – – voilà.
ich hatte schon daran gezweifelt, daß sie diesen Beschluß wirklich durch-
führen würden, die sache kam mir zu albern und zu sehr zur unzeit vor,
aber vor gott ist kein ding unmöglich, und die Bescherung ist da, schwarz
auf weiß, so läuft mir diese dumme geschichte durch alle Welttheile nach,
und ich weiß nicht, ob ich darüber lachen oder mich ärgern soll, oder beydes
zugleich, ärgern über die intention und lachen über die Waffe, welche sie
gewählt. Aber unruhig bin ich über das Ausbleiben meiner Briefe.
45.000 mann franzosen sind im einschiffen,2 st. Arnaud général en
chef und zugleich Botschafter in constantinopel, eine Anleihe von 250
millionen franken eröffnet, in england werden 35.000 mann unter lord
1 „seine kk. Apostolische majestaet haben mit allerhöchster entschließung vom 16. dieses
monats zu befehlen geruht, es soll euren hochwohlgeboren bedeutet werden: daß weder
ihnen, noch wenn sie eine hoffähige gattin hätten, dieser in Zukunft bei seiner kk. Apos-
tolischen majestät oder am allerhöchsten hofe zu erscheinen gestattet, und ihnen auch die
öffentliche Ausübung der übrigen Prärogativen der kk. kämmererwürde bis auf Weiteres
untersagt ist. Das kk. Oberstkämmereramt erfüllt seine Pflicht, indem es Ihnen diesen
kaiserlichen Beschluß zur Wissenschaft und genauen darnachhandlung hiermit bekannt
macht.“ (k. 115, umschlag 668).
2 einen tag vor diesem eintrag, am 28.3.1854, erfolgte die kriegserklärung zwischen den
Westmächten und russland.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien