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84 Tagebücher
ßung von der diplomatischen carrière. es gab auch hierin, wie in Allem,
nach 1848 eine Zeit des Aufschwunges, und Bruck als minister benützte sie
vortrefflich, um Vieles Gute in dieser Beziehung zu schaffen, aber auch hier
wie in Allem ist seitdem wieder ein ärgerer marasmus als zuvor eingetreten.
es hat daher ein jeder dieser consuln etc. etwas, bald mehr, bald weniger
zu begehren, ein wahres Pandaemonium von unzufriedenen, erinnert mich
einigermaßen (doch im geringeren maaße) an meine rundreisen unter den
istrianischen Bezirksbeamten 1840. Alle wenden sich an mich, daß ich mit
Bruck sprechen möchte. dasselbe thun z.B. die lloydagenten im interesse
ihrer gesellschaft etc. und viele Andere, kurz ich komme mit einem sacke
voll noten nach constantinopel. Brucks stellung ist allerdings eine bedeu-
tende. Wenn ich aber meine persönliche stellung vis-à-vis aller dieser Be-
hörden, individuen etc., seyen sie hoch oder nieder, betrachte und dann an
das verhältniß denke, in welchem ich zu hof und kaiser stehe, so kömmt
mir die sache oft wie eine narrencomödie vor.
das französische kirchenprotectorat spukt auch hier. gödel hält sich zurück
und hat recht, auch er arbeitet dahin, daß von Wien aus künftighin die gelder
zu Bauten etc. nicht mehr so blind, sondern lieber zum Baue ausschließlich
österreichischer kirchen, häuser etc. bestimmt würden, da in diesem falle
oesterreich das dispositionsrecht behält. Bis jetzt haben wir mit unserm
gelde kirchen etc. neu aufgebaut, vergrößert etc., und frankreich hat ehre
und Protektorat davon gehabt, so z.B. erst neulich in cypern und Alexandrien.
Zugleich wäre es Zeit, den unfug mit den sammlungen abzustellen, welche für
dergleichen Zwecke in oesterreich veranstaltet werden, oft eine menge geld
liefern und dann hier verschleudert, gestohlen oder zu Zwecken verwendet
werden, für die man bey uns keinen heller hergegeben hätte.
vorgestern ritt ich mit 2 herren vom consulate nach Beshobresheyn, wo
ein stamm der familie schehab, emir Assad schehab, wohnt, eine sehr in-
teressante familie. 2 sehr hübsche töchter erschienen und rauchten und
schwätzten ganz fidél. Die Mutter, eine würdige Matrone, war krank, emp-
fing uns aber im Bette, ebenfalls ihr Nargileh1 rauchend. der emir kam
ebenfalls mit einer Bitte an mich: ich möchte von Bruck erlangen, daß er sich
bey der Pforte für die erlaubniß zur rückkehr des enkels emir Beschir’s
und schwiegersohnes emir Assad’s in sein hiesiges vaterland verwende.
derselbe lebt nämlich noch immer unter Aufsicht in constantinopel. die
familie schehab ist an 250 mann stark und heirathet nur unter sich.
der grundbesitz ist hier in den händen weniger familien, maulbeer-
bäume und seidenzucht, auch ölbäume die hauptrevenue, colonialsystem
gegen halbscheid.
1 Wasserpfeife.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien