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April 1854
gestreckt, seekrank und elend. ich legte mich auch gleich nieder und stand
bis heute früh nicht auf, der Prior des franziskanerklosters in larnaca, ein
tyroler, kam an Bord, um mich zu sehen, da er mich aber schlafend fand,
wollte er mich nicht wecken, so erzählte mir heute der capitain. gegen
Abend fuhr man ab, die nacht war ziemlich stürmisch, doch litt ich nicht
mehr, heute früh fanden wir uns in latakìa (laodicea), fuhren aber schon
um 10 weiter, ich ging nicht ans land, der tag war herrlich, die see ruhig,
die fahrt sehr schön, längs der gebirgigen ufer syriens, den golf von Antio-
chia entlang und endlich am Abend in den golf von Alexandrette, der ecke
syriens und kleinasiens, welche letztere küste sammt der insgesamten
gebirgskette des taurus man fast soweit das Auge reicht sehen kann, eine
magnifique Scene. Nach Sonnenuntergang ankerten wir vor Alexandrette,
dem hafen Aleppos.
der capitain demattis ist ein alter ehrlicher seebär. die gesellschaft be-
steht außer mir aus 8 engländern, fast lauter frühere reisebekannte, dar-
unter fletcher senior, Wilmot und kennard, der capitain, der vor 13 tagen
constantinopel verließ, erzählte mir von den unfügen der franzosen, der
Präpotenz redcliffes und der steigenden Wuth der türken gegen ihre „Alli-
irten“. ich glaube ganz entschieden, oesterreich soll jetzt nicht losschlagen,
da es den rechten moment, jetzt vor einem Jahre, versäumt hat, so muß es
nun warten, bis, wie im Jahre 1813, sein Beytritt den Ausschlag gibt und
uns wieder, wie wir immer hätten seyn sollen, in die erste reihe stellt.
[an Bord der Austria zwischen mersina und rhodos] 22. April
Wir blieben gestern den ganzen tag in Alexandrette liegen, mit ein- und
Ausschiffen von Waaren beschäftigt. hauptexport ist Baumwolle, getreide,
schwämme, seidenstoffe, tabak etc., import englische Baumwollwaaren.
früh am morgen kam das lloyddampfschiff „vorwärts“ von constantinopel
und brachte nachrichten bis zum 15. es sollen nun gegen 15.000 engländer
und franzosen ausgeschifft seyn, sonst nichts neues, in volo versuchten
die griechen einen handstreich, welcher aber mit hilfe zweyer österreichi-
scher kriegsschiffe vereitelt wurde.
In Alexandrette soll Jonas vom Wallfische ausgespieen worden seyn.
nach dem frühstücke fuhren wir ans land und kamen gerade dazu,
den harem des Paschas von Aleppo, welcher mit dem „vorwärts“ angekom-
men war, abziehen zu sehen, ein eigenthümlicher Anblick, einige präch-
tige sänften (tahteravans), andere geringere, voran die fahne der türken,
grün und roth, und gegen 100 Baschibazak (irreguläre truppen) in den
verschiedensten costumes, beritten, schießend, sprengend, djerid werfend1
1 speere, die vom reitenden Pferd auf ein Ziel geworfen werden.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien