Page - 92 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume III
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92 Tagebücher
Am 17. hat bey kalafat ein den türken günstiges cavalleriegefecht
stattgehabt, welches von den hiesigen engländern, die ebenfalls enragirte
Türkenfreunde sind, zu einer Schlacht mit 8000 todten Russen magnificirt
wird, wieder eine köstliche Abkühlung für den russischen übermuth, der
überhaupt sehr kleinlaut werden dürfte.
constantinopel 1. may
freytag den 28. um 4 uhr nachmittags verließ ich smyrna beym herrlich-
sten Wetter von der Welt auf der Australia, einem außerordentlich schnel-
len und comfortablen Boote des lloyd, die reisegesellschaft war ziemlich
zahlreich, meine englischen reisegefährten von Beyrut sämmtlich mit Aus-
nahme fletcher’s, leider auch der ekelhafte griechische Bischof, dann ein
herr von littrow aus Wien und ein churhessischer hauptmann a.d., der für
die Allgemeine Zeitung in das lager omar Paschas reist, mit militärkappe,
Porzellanpfeife und straffen hosen, ein Bild der deutschen garnisonsspieß-
bürgerey, voll Wichtigkeit und stolz auf die zu commandirenden 20 mann.
die fahrt war außerordentlich angenehm, um 9 uhr Abends hielten wir
einen Augenblick vor metelino (lesbos). gegen morgen jedoch erhob sich
ein sturm, der immer heftiger wurde. gegen 6 uhr kamen wir durch die
dardanellen (hellespont) und ein paar stunden später nach gallipoli, wo
wir aber des sturmes wegen weder Passagiere noch gepäck landen konn-
ten. es lagen 5 französische linienschiffe sammt mehreren dampfschiffen
etc. da, und wir sahen das französische Zeltlager am ufer.
der ganze tag war stürmisch und es regnete fortwährend, so daß ich den
größten theil desselben in meiner cabine zubrachte. glücklicherweise hei-
terte es sich gerade als wir nach constantinopel kamen, gegen 6 uhr, auf,
so daß ich diesen prachtvollen Anblick, den schönsten in der Welt, genießen
konnte. Wir ankerten vor tophana, und ein Boot unserer corvette custozza
brachte mich aus purer Höflichkeit des an Bord gekommenen Marinecadet-
ten ans land.
Bruck empfing mich auf das Herzlichste, obwohl er meinen Brief noch
nicht erhalten hatte, ich bewohne 2 recht hübsche Zimmer im 2. stocke
mit der herrlichsten Aussicht auf die Serailspitze, Sentari etc. und befinde
mich in jeder Beziehung wie in Abraham’s schooß. Wir sind immer, ohne
die gäste, 12–15 Personen bey tische, da das ganze unverheirathete inter-
nuntiaturpersonale hier ißt, frühstückt und die Abende am Billard, Whist-
tische oder bey den damen zubringt. Bruck, der überhaupt ein sehr lie-
benswürdiger hausherr ist, ist nebstdem eine wahre providence für seine
jungen leute, welche in seinem hause wie in ihrem eigenen aufgenommen
sind, und seine ganze familie sind liebenswürdige anspruchslose höchst
dienstfertige leute. noch ist eine sehr hübsche frau aus triest, die gattin
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien