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958.
Mai 1854
(reschid Pascha, chosrew Pascha, Ali Pascha, fuad effendi etc.) zu beyden
seiten, dann die ruinen des türkischen forts an der stelle, wo die osmanen
zuerst den Bosporus übersetzten, dann das berühmte unkiar iskelessi1 und
gleich darauf der kiosk Abbas Paschas auf der asiatischen, dann therapia
auf der europäischen seite, hierauf die Aussicht auf den genueserthurm
und das schwarze meer, endlich Bujakdere selbst. Wir sahen dort die villa
an, welche seit vielen Jahren von der internunciatur alljährlich gemiethet
wird, machten hierauf einen kurzen Besuch bey der alten Baronne testa
und fuhren dann wieder zurück, ich glaube nicht, daß es möglich ist, bin-
nen 2 stunden an irgend einem anderen flecken der erde etwas schöneres
zu sehen. der Pallast, den sich der sultan gegenwärtig am eingange des
Bosphorus (dem leanderthurme fast gegenüber) baut, ist das grandiose-
ste, was ich je gesehen, wenn auch etwas überladen. constantinopel könnte
und sollte die erste stadt der Welt seyn.
Am folgenden tage, den 6., machten wir in großer Anzahl (die ganze
Internunciatur, alle sonstigen österreichischen Beamten, Offiziere etc. der
beyden kriegsschiffe und mehrere eingeladene, im ganzen ein imposanter
Zug von 50–60 Personen, damen und herrn) die Parthie der moscheen.
Zuerst fuhren wir nach dem sogenannten alten serail, der residenz des
sultans bis vor etwa 20 Jahren, wo u.a. selim ermordet wurde, wir sahen
da die ziemlich geschmacklosen Appartements, Bibliothek, münze, Arsenal
(Waffendepôt, dieses in der ehemaligen irenenkirche, dem ältesten vorhan-
denen Bauwerke, unter constantin erbaut), worin u.a. die schlüssel vieler
festungen, darunter die ofens zu sehen sind, den großen halbdunkeln saal,
worin der Sultan die fremden Botschafter zu empfangen pflegte, daneben
das gemach, in welchem in ungnade gefallene minister geköpft wurden,
einige Zimmer voll figuren mit alttürkischen costumes etc. Alles ziemlich
mesquin mit Ausnahme seines Audienzzimmers. gegenwärtig dient dieser
ganze ungeheure, von einer eigenen mauer umschlossene stadttheil, das
alte serail genannt, zu gar nichts, doch sind ein paar casernen und 2 mi-
nisterien darin. Alle die anderen zahlreichen gebäude, gärten, kiosks etc.,
welche zur ehemaligen residenz gehörten, stehen leer. doch sagt man mir,
daß einige pensionirte sultansfrauen hier wohnen.
von da gingen wir in die sophienkirche, uns begleitete fossati, welcher
die restauration derselben geleitet hat, außerordentlich grandios und
schön, so daß die marcuskirche ein schwaches nachbild en miniature. Ju-
stinian baute sie, nachdem die erste von constantin abgebrannt war, säu-
len aus dem dianentempel zu ephesus, aus Baalbeck und rom etc. thür,
1 ort der unterzeichnung des vertrags von 1833, in dem die Pforte russland die sperre der
meerengen für kriegsschiffe dritter staaten garantierte.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien