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Tagebücher104
des, daher stammt auch ganz folgerecht das gesetz, welches hier wie im
ganzen reiche geltung hat, daß kein europäer etwas besitzen darf. übri-
gens zahlt ganz constantinopel, also türken und rajahs1 inbegriffen, kraft
eines alten herkommens keinen Pfennig steuern.
ich habe daher während meines 3wöchentlichen Aufenthaltes im Bruck-
schen hause keinen einzigen in irgendwelcher Beziehung marquanten
menschen kennen gelernt als einmal Baraguay d’hilliers (der gestern ab-
gereist ist) und den italiener rustem Bey.2 meine Abende habe ich ohne
Ausnahme mit Whistspielen zugebracht, und die gesellschaft bestand
außer den internunciaturs-, consulats- und Postbeamten aus österreichi-
schen Marineoffiziers, Lloydbeamten, ein paar österreichischen Kaufleuten
und Zeitungscorrespondenten, unter welchen letzteren ich eines Abends ei-
nen herrn orges, correspondenten der Allgemeinen Zeitung, wegen seiner
Augsburgerspießbürgerhaften engländerfresserey abkanzelte.
Welch ein unterschied zwischen Aegypten, syrien, Arabien etc., wo der
islamismus noch in voller sicherheit und in vollem übergewicht herrscht,
und constantinopel, wo er wie ein gehetzter stier schon im todeskampfe
liegt und sich der krämerhaften geschäftigkeit der europäer nicht mehr
erwehren kann. Was die Yankees für uns, das sind wir den Türken, nur
aufdringlicher und offensiver.
An Bord des egitto [vor tenedos] 23. may
gestern nachmittag 4 uhr war ich an Bord. Preu und cohen begleiteten
mich, und sämmtliche herren der internunciatur kamen an Bord, um mich
oder vielmehr um frau v. kletzel noch zu sehen, welche mit ihren kindern
nach Wien und vor der hand mit mir bis corfù reist und von ihrem manne
(einer sehr komischen Personnage) meiner obhut empfohlen ist.
Außerdem ist noch die frau des lloydagenten demattej, eine alte grie-
chinn, an Bord, welche ihr mann bis gallipoli begleitete. Alle diese ver-
schiedenen Abschiede waren sehr tragisch, und mir selbst that es leid, das
Brucksche haus zu verlassen, wo ich eine so überaus freundliche Aufnahme
und trotz Allem doch ein ziemlich comfortables nest gefunden hatte.
das herausfahren aus dem überfüllten hafen war eine sehr schwierige
sache und dauerte ziemlich lange, ich trennte mich ungern von dem herr-
lichen Panorama constantinopels, doch hatten wir und haben besonders
heute ein unvergleichlich schönes Wetter und fahren auf der ruhigen see
bey leichtem nordwinde dahin, daß es ein vergnügen ist.
1 nichtislamische untertanen des sultans.
2 rustem Bey, generalsekretär des türkischen Außenministeriums, war ein katholik italie-
nischer Abstammung.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien