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Tagebücher122
recht angenehmes diner auf der mauer bey elise Biedermann, sonst lebe
ich einförmig und langweilig fort. das Wetter ist beyspiellos schlecht, nach
einem, höchstens zwey schönen tagen regen und sturm und eine kälte wie
im october, der Winter in Aegypten war ohne vergleich wärmer als hier
der sommer. die ernte wird im ganzen mittelmäßig seyn, die theuerung
übersteigt alle grenzen, und der nothstand nimmt natürlich zu.
[Wien] 22. Juli
Alles ist im flusse, kleines und großes, desto besser, um mit dem kleinen
anzufangen, so habe ich neulich die Antwort seiner majestät meines al-
lergnädigsten herrn erhalten: keine untersuchung, keine rechtfertigung,
keine Audienz.1
es ist übrigens zwischen seiner majestät und mir schon so weit gekom-
men, daß ich einen fußtritt mehr oder weniger nicht mehr regardire, im
gegentheile, ich sammle sie sorgfältig auf, den geschmack an declamatio-
nen und theatercoups habe ich verloren, und es liegt nicht in meiner rich-
tung, ohne die äußerste nothwendigkeit zu brechen, im gegentheile, ich
verzweifle noch an gar Nichts, nicht einmal daran, eines Tages sein favori
zu werden. Quant à lui, il ne deviendra jamais le mien. daher dissimulire
ich, solange noch irgend eine hoffnung da ist.
ich ging demnach zu grünne, der mich, wie überhaupt immer, sehr
freundlich empfing, und mit dem ich Alles lange und ausführlich besprach,
es ist der einzige gentleman in der umgebung des kaisers. er meinte, ich
solle die idee einer untersuchung, einer rechtfertigung ganz fahren las-
sen und mich auf die practische seite der sache beschränken, nämlich um
eine Anstellung bitten, worin ja zugleich eine rehabilitation gelegen sey.
der kaiser sey, da es sich bey jener verfügung um eine bloße hofsache,
kein gerichtliches erkenntniß handle, mir keine rechenschaft schuldig und
werde mir sie auch nie geben. Jedoch könnte ich, da diese verfügung ja
doch nur „bis auf Weiteres“ ergangen sey, um deren Aufhebung einkommen
(! so sollte ich wohl noch gar um Begnadigung bitten?!).
Am ende kamen wir überein, daß ich ein abermaliges Audienzgesuch an
den kaiser richten sollte mit dem Beysatze, daß ich kein Wort zu meiner
rechtfertigung sprechen, sondern seiner majestät lediglich einen anderen
gegenstand von großer Wichtigkeit für mich vorzutragen wünschte, dieses
gesuch sollte ich ihm, grünne, schicken.
1 Andrians gesuch „um neuerliche untersuchung seiner politischen haltung und um Zu-
lassung zur Privataudienz“ wurde vom kaiser „ohne allergnädigste Berücksichtigung zur
Amtshandlung herabgelangen zu lassen geruht.“ schreiben des oberstkämmeramts v.
19.4.1854 (k. 115, umschlag 668).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien