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Tagebücher126
[Wien] 2. August
Wir versäumen eine kostbare Zeit. gortschakoff führt uns an der nase. Wir
rüsten in einem fort und werden doch vor dem nächsten frühjahre kaum
etwas unternehmen können, die Besetzung der Wallachey vielleicht aus-
genommen. Wie aber werden wir diese truppenmassen den Winter über
erhalten können?
mittlerweilen thun england und frankreich ebenfalls nichts anderes als
rüsten, als gälte es einen krieg auf 20 Jahre, die englischen minister spre-
chen im Parlamente das dümmste Zeug, es ist überhaupt eine jämmerliche
kriegführung von beyden seiten, diplomatisch wie militärisch.
unser hemmschuh aber ist Preußen, diese misérable halbmacht, mit der
sentimentalen Bestie von könig. Alvensleben intriguirt und schimpft hier
herum, und um ihn schaaren sich die kleinen kläffer sachsen, Würtem-
berg, Bayern, hannover etc. viribus unitis. diesen regierungen kann man
übrigens so unrecht nicht geben, denn sie sehen wohl ein, qu’ils paye ront
les pots cassés, sie halten daher jetzt mit Preußen wie vor 3–4 Jahren mit
uns. Abermals ein Beyspiel, wieviel uns der „Einfluß in Deutschland“ nützt,
um welchen felix schwarzenberg so bekümmert war. man hat nur dort
Einfluß, wo man befehlen kann.
hess ist gestern von seiner inspectionsreise zurückgekehrt, heute
kömmt der kaiser von ischel zurück, ich bin neugierig, was rücksichtlich
meiner geschieht, ich wünsche mir eine baldige entscheidung, denn dieses
nichtsthun, dieses hiersitzen ist mir unerträglich. ich bin zwar soviel als
möglich in Baden, wo ich an Olga Ustinoff eine Ressource finde, welche lei-
der nicht mehr lange dauern wird. Auch mrs. norton war neulich dort, und
ich half ihr eine Wohnung suchen, sowie ich aber wieder in dieser heißen,
stinkenden, leeren und monotonen stadt bin, langweile ich mich über alle
maßen. m[arie] m[eixner] sah ich gestern zum erstenmahle wieder, elend
und schwach, ich fürchte, es geht mit ihr zu ende.
[Wien] 8. August
Ich bin jetzt fast fortwährend in Baden, wo ich mich sehr wohl befinde
und gerade das habe, was mir noth thut, einen angenehmen, geistrei-
chen, erfrischenden weiblichen umgang mit ein Bischen sentiment als
willkommene Zugabe. freylich wird mir, wenn dieses aufhört, die leere
des hiesigen lebens um so schwerer fallen. ich habe jetzt eine Art Al-
tenweibersommer, einen schönen sonnigen november, welcher vielleicht
deßhalb um so erquickender ist, weil man ahnt, daß es die letzten schö-
nen tage seyn dürften. doch hoffe ich zu gott, daß ich noch nicht so weit
bin. olga ustinoff war diese tage unwohl, so daß ich ihr fast fortwährend
gesellschaft leistete, sie hat einen so lebhaften geist, eine so reizende ele-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien