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Tagebücher130
zu hören. das facit von dem Allen ist, daß ich nach allen regeln der kunst
verliebt bin, und zwar seit langer Zeit wieder mit allen facultäten zugleich:
mit sinnen, kopf und herz, desto besser, das rüttelt auf.
die Belcredis, inclusive egbert und christiane, waren ein paar tage in
vöslau, wo ich sie einmal besuchte.
Wir sind endlich in die Wallachey eingerückt und warten gutmüthiger-
weise, bis die russen die moldau räumen, um auch diese zu besetzen, vor 4
Wochen wäre der moment gewesen, um dieses brillanter und vortheilhafter
durchzuführen. Preußen zieht sich immer mehr von uns zurück und intri-
guirt mit den deutschen mittelstaaten im russischen interesse, wir dage-
gen scheinen entschiedener als je zu den Westmächten zu halten.
das Anlehen ist gedeckt, über 400 millionen gezeichnet und der termin
bis ende dieses monats verlängert, man hat aber auch zu unglaublichen
mitteln gegriffen.
Während meiner Abwesenheit habe ich leider soiron versäumt, der heute
abgereist ist und mich hier wiederholt aufsuchte.
der dießjährige sommer ist oder eigentlich war, denn er scheint vorüber
zu seyn, ein beyspiellos schlechter, bis mitte July war der kaum ein früh-
jahr zu nennen, dann durch weitere 14 tage regen und gewitter, hierauf
allerdings durch 3 Wochen, in Baden, vorwiegend schön, seit 8 tagen regen
und trauriges herbstwetter.
[Wien] 29. August
es ist kalt, regnerisch und unangenehm, als wären wir schon im october,
die fatalste Jahreszeit, der herbst, ist da, und mit ihm die furcht vor dem
Winter und die regrets um die schöne Jahreszeit, welche übrigens heuer
nur im kalender existirt hat. ich fühle einen gelinden katzenjammer in mir
nach den räuschen der letzten Wochen. Auf solche stimmungen aber hat
bey mir Wetter und Jahreszeit immer den entschiedensten Einfluß. Nie-
mand braucht den sonnenschein nothwendiger als ich, namentlich solange
ich nichts zu thun, keine Beschäftigung habe, welche mich in Anspruch
nimmt und zerstreut. die Zeit ist vorüber, wo ich mich mit lesen und stu-
diren zufriedenstellte.
ich bin noch nicht darüber im reinen, was ich zunächst unternehmen
soll, dieses bald 3 monatliche Warten wird mir unerträglich, und ich möchte
eine Abwechslung, eine unterbrechung, noch mehr aber wünsche ich eine
baldige entscheidung, wie sie immer ausfallen möge. dazu aber läßt sich
vor der hand nicht wohl etwas thun. der kaiser ist seit 6 Wochen fast fort-
während in ischel, und niemand weiß etwas gewisses über seine nächsten
Bewegungen, es heißt also warten und warten. darüber aber kömmt der
herbst und vielleicht der Winter.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien