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Tagebücher138
nes einzelnen individuums, sogar einer frau, ein so großartiges feld ge-
geben ist.1 einzelne stellen dieses Pamphlets sind an styl und gedanken
wirklich das Ausgezeichneteste, was ich seit langem gelesen habe.
[Wien] 8. oktober
da ich von grünne ein paar tage keine Antwort erhielt, so schrieb ich ihm,
um keine Zeit zu versäumen, dasjenige, was ich ihm sagen wollte, bey ei-
nem so beschäftigten und etwas confusen manne wie er ist jedenfalls das
Beste,2 inzwischen erhielt ich denn auch seine Antwort, welche ein paar
tage herumgewandert war, und suchte ihn in folge seiner einladung in
schönbrunn auf, fand ihn aber, da gerade der nahmenstag des kaisers
war, nicht, seitdem habe ich es nicht wieder versucht, da er durch meinen
Brief ohnehin Alles weiß. nach dem, was er neulich zu gabrielle sagte,
scheinen die sachen übrigens ziemlich gut zu stehen.
dagegen besuchte ich Bach nach 3 1/2 Jahren zum erstenmahle wieder,
ich hielt es für angezeigt, auch diesen Schritt zu thun. Er empfing mich wie
immer mit großem empressement und endlosem geschwätze, betheuerte,
daß er weder an der geschichte wegen des Johanniterordens3 noch wegen
der kämmerersache einen Antheil gehabt habe (woran ich auch nie gedacht
habe), im gegentheile etc. er amusirt mich jedesmahl, wenn ich mit ihm
spreche, er ist ein durchtriebener Pfiffikus, dem man aber seine Pfiffigkeit
schon von Weitem ansieht. Alles, was ich wollte, war, einen schritt der An-
näherung an ihn zu machen.
das Wetter ist herrlich, warm wie im August, leider muß ich in der stadt
hocken, wo ich mich nebenbey auch herzlich langweile, ich aß neulich bey
henriette todesco mit ein paar franzosen, einer davon war Prosper me-
rimée, auch frau v. neuwall sah ich ein paarmale auf ihrer durchreise.
Mit M[arie] M[eixner] brachte ich neulich einen magnifiquen Tag in Klo-
sterneuburg zu, und gestern besuchte ich gabrielle in Baden. die cholera
1 caroline norton, english laws for Women in the nineteenth century (Privatdruck 1854),
Neudruck unter dem Zusatz Caroline Norton’s Defense Chicago 1982; deutsche Ausgabe
die frauen in england unter dem gesetze unseres Jahrhunderts (Berlin 1854).
2 das konzept dieses Briefes, datiert 2.10.1854, in k. 115, umschlag 666: „ich erlaube mir
nun, diese Angelegenheit, an der, wie euer exzellenz wohl wissen, für mich Alles gelegen
ist, und die, wie ich zu hoffen wage, jetzt auf gutem Wege seyn dürfte, ihrer freundlichen
theilnahme auch fernerhin zu empfehlen mit der Bitte, gelegentlich bey seiner majestät
ein gutes Wort für mich einlegen zu wollen. Wenn ich nur einmahl über die frage beruhigt
bin, ob seine majestät mir überhaupt eine wenn auch nur probeweise ämtliche verwen-
dung zu gewähren geneigt sind? so würde ich eine weitere Allerhöchste entscheidung über
das Was? Wie? und Wo? mit um so größerer ruhe und geduld erwarten.“
3 Zu Andrians vergeblichen versuch, in den malteserorden aufgenommen zu werden, vgl.
u.a. einträge v. 17.12.1852 und 12.5.1853.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien