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Tagebücher146
ich bin auf jeden Ausgang gefaßt, unter den gegenwärtigen Zeitläuf-
ten kann es nicht schwer fallen, im Auslande, wenn es hier nicht ange-
hen sollte, Beschäftigung und Stellung zu finden, und auch hier können die
dinge in einem Augenblicke umschlagen, die dinge stehen auf der spitze,
politisch wie finanziell. Das Nationalanlehen wird für die Kriegsrüstun-
gen wahrscheinlich noch vor dem frühjahre aufgebraucht seyn, die 200
millionen francs für den eisenbahnverpacht (welcher jetzt übrigens wieder
zweifelhaft seyn soll) sind ohnehin nur für Zahlungen im Auslande und
interessenzahlungen der nächsten monate bestimmt, das Agio steht auf
28 und steigt fortwährend, da aus den fürstenthümern alles Papier, das
unsere Armée ausgibt, zurückströmt.
die Alliirten werden wohl in der crim überwintern, die Belagerung se-
bastopols kann noch monathe dauern, es ist eine riesenaffaire.
ich fahre morgen auf einige tage nach grafenegg zu Breuner, um ein
paar Jagden mitzumachen und mich von dem hiesigen einerley zu zer-
streuen. das Wetter ist schon ganz winterlich, wir hatten vor 8 tagen einen
starken schneefall, Postunterbrechung und grimmige kälte, jetzt ist das
vorüber.
ich habe eben eine lebensbeschreibung des grafen von narbonne (von
villemain) gelesen,1 und nie hat mich die intellektuelle größe napoleons so
sehr frappirt als in den hier erzählten gesprächen desselben mit narbonne
zwischen 1809 und 1813, welch ein unterschied zwischen ihm und seinen
feinden und nachahmern! – als contrast mit dem, was ich eben jetzt er-
lebe, hat mir besonders diese hohe vorurtheilsfreye Ansicht der dinge, diese
großartige Allseitigkeit und namentlich dieses Bedürfniß an intellektueller
nahrung frappirt, welche dieser wie jeder geistig reichen natur eigen wa-
ren. Betrachtet man dagegen, wie es hier aussieht, –– difficile est satyram
non scribere.
gabrielle ist in darmstadt, wo der hof, wie sie sagt und ich gerne glaube,
erzrussisch ist.2
treue, meinen eifer und meine fähigkeiten im dienste meines allergnädigsten kaisers und
herrn zu erproben. es ist dieses zugleich, wie euer majestät bereits wissen, die einzige res-
source, welche mir, seitdem mir die Allerhöchste genehmigung zum eintritte in den Johan-
niterorden verweigert wurde, noch geblieben ist. Euer Majestät werden es daher begreiflich
finden, daß ich die Tage und Stunden zähle, bis Euer Majestät über mein alleruntertänigs-
tes Ansuchen, wäre es auch vorläufig nur über die Frage: Ob? entschieden haben werden.“
1 Wohl im 1. Band von Abel-françois villemain, souvenirs contemporains d’histoire et de
litterature (Paris 1854).
2 die frau des russischen thronfolgers und späteren Zaren Alexander ii. war eine schwester
von großherzog ludwig iii. von hessen.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien