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Dezember 1854
Preußen hat den verstand gehabt, sich nicht unwirsch zu zeigen, und
wird beytreten. der deutsche Bund hat nach einem schwachen Zeichen des
unwillens über den tractat vom 2. dieses monats den österreich-preußi-
schen Zusatzvertrag vom 26. vorigen monats angenommen und stellt dem
zufolge sein kriegscontingent auf.
die russophilen hier heulen im stillen und schimpfen ziemlich laut, zu
ihnen gehören die meisten hohen generäle (Wratislaw, Windischgrätz,
Walmoden, schlick, clam etc) und die alten Weiber, hauptsächlich aber die
kleinen deutschen diplomaten, die es im schimpfen Allen Anderen zuvor-
thun, könneritz, lerchenfeld, hügel à la tête, ihnen folgen mehr noch im
heulen als im schimpfen, besonders aber im verdächtigen der regierung,
hauptsächlich Bachs, ihres erbfeindes, die ungarischen Altconservativen,
soviele davon noch übrig sind, der übrige theil der Aristokratie und mit
ihr das bey weitem größere Publicum jammert hauptsächlich über unsere
immer tiefer sinkenden finanzen, ein eigentlicher enthusiasmus für den
Krieg ist höchstens bey den Liberalen quand même zu finden, welche mehr
auf die wahrscheinlichen resultate eines krieges als auf diesen selbst
Werth legen.
das Agio schwankt zwischen 25 und 30, 10 bis 12 percent höher als vor
dem nationalanlehen, die sparkassen haben regelmäßig fast das doppelte
der einlagen hinauszuzahlen, die eisenbahnpacht durch die französische
gesellschaft, welche auf dem Punkte stand zu scheitern, ist endlich als
lohn für den tractat vom 2. genehmigt, doch werden die 200 millionen
franken, die er liefern soll, durch die nächsten Zinsenzahlungen im Aus-
lande aufgezehrt werden.
sensation erregt die seit 8 tagen dauernde suspension des lloyd und
der daraus hervorgegangene Conflict zwischen der russisch gesinnten
oberpolizeybehörde (respective kempen und sein satellit langenau), die
seine gänzliche unterdrückung ausgesprochen hat, und dem ministerium,
namentlich Buol und Bach, die dieses seit einiger Zeit zu einer so großen
Bedeutung gelangte organ erhalten wissen wollen. noch weiß man den
Ausgang nicht.1
unsere Journalistik, die (mit Ausnahme der ganz miserablen volksblät-
ter und volkslitteratur) qualitativ sehr im steigen ist, hat sich nun auch
quantitativ durch einige neue Blätter vermehrt, darunter „die donau“ un-
ter der redaction von schwarzer und schuselka, welcher letztere so eben
eine Anstellung im ministerium des innern erhalten haben soll.2
1 Zur suspendierung des lloyd vgl. eintrag v. 27.12.1854.
2 Weder wurde franz schuselka redakteur der von ernst v. schwarzer gegründeten Zeitung
„die donau“, noch erhielt er eine Anstellung im innenministerium.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien