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Tagebücher158
wirkende intriguen Bachs gestoßen seyn wird. gegen Beydes fehlte es ihm
aber an muth und an stellung. ich hätte einen diplomatischen Posten, und
wäre er an dem kleinsten hofe, jedem andern vorgezogen, weil ein solcher
eine angenehme sinecur gewesen wäre, das einzige, was man in dem ge-
genwärtigen momente wünschen kann.
übrigens sagte ich Buol, daß ich vor Allem eine baldige entscheidung
wünsche, indem ich, wenn auch ungern, im falle sich im inlande nichts für
mich fände, im Auslande eine angemessene verwendung suchen und wohl
auch finden werde, daß daher die ganze Frage eigentlich darin liege, ob die
regierung es für vortheilhaft halte, mich in Berücksichtigung etwa mögli-
cher zukünftiger eventualitäten im österreichischen dienste festzuhalten
oder nicht? und daß in dem ersteren falle die frage: Wie dieß geschehen
solle? von secundairer Bedeutung sey, daß in meinem Alter, in meiner lage
und bey den gegenwärtigen politischen verhältnissen ich nicht länger mehr
warten könne und wolle, und schließlich, daß ich ja mein gesuch an seine
majestät nicht aus eigener veranlassung eingereicht habe, sondern dazu
inducirt worden sey, nämlich durch grünne.
die ganze geschichte ist ein merkwürdiges specimen elender hundsföt-
terey des „ritterlichen“ herrn. Wie jetzt überhaupt nichts zu berechnen und
besonders in diesem Augenblicke Alles in der schwebe ist, so ist auch damit
eigentlich weder etwas verloren noch gewonnen, aber auch der moment
noch nicht da, um einen entschluß zu fassen, in einem bis zwey monathen
wird sich das Alles wohl geklärt haben.
Brucks Ankunft, welcher in 2–3 Wochen entgegengesehen wird, wird jeden-
falls, mag er nun annehmen oder nicht, einen bedeutenden ruck in die dinge
bringen,1 welche täglich trüber und drohender werden, einstweilen ist er durch
koller, welcher bereits nach constantinopel abgegangen ist, schon ersetzt, so
daß er nun die Wahl zwischen Annahme oder vollständigem rücktritte hat,
auch ein sonderbares procédé. in der orientalischen frage ist der Beytritt Pie-
monts zu der Allianz vom 2. dezember das einzig neue, die russen und ihre
freunde intriguiren hier nach kräften und nicht immer ohne erfolg.
tiefer Winter seit 8 tagen und beynahe jeden tag schnee, wäre ich doch
in egypten, in diesen gottverlassenen ländern sollte kein vernünftiger
mensch leben. ich widme, soviel ich kann, meine Zeit der schönen gabriele
neuwall und gehe dahin, wo ich sie treffe, [stametz-] mayer, elise Bieder-
mann etc. und wie natürlich sehr oft zu ihr selbst. diese coterie de haute
finance ist mir auf jeden Fall zusagender und homogener als die meiner
standesgenossen. das distinctivum dieser letzteren besonders seit 1848 ist,
1 frh. karl ludwig von Bruck, internuntius in konstantinopel, übernahm mit 10.3.1855 das
finanzministerium.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien