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Tagebücher176
gabrielle ist seit ein paar tagen hier und bleibt bis ende dieses monats,
worauf sie in die Weilburg ziehen.
unsere Politik ist mehr als je im schwanken, und dießmal zum ersten
mahle befürchte ich ein umschwenken. Wie dem unentschlossenen Jagen-
den nichts so unerträglich ist, als wenn man ihn endlich presse-collet setzt,
und das geschieht jetzt, die Westmächte sind das Warten und menagiren
endlich müde geworden und sagen entweder oder. drouin de l’huys, wel-
cher ein von hier ausgegangenes halbes und folglich nichtsnutziges ver-
mittelungsprojekt nach Paris mitgenommen und dort befürwortet hat, ist
zum lohn für diese unberufene verwendung entlassen worden. frankreich
und england scheinen entschieden, den krieg, sey es nun mit oder ohne
uns (in diesem letzteren falle vielleicht mit Zuhülfenahme der revolution,
mindestens in Polen) fortzusetzen. Andererseits scheint Bruck mit seiner
unglückseligen unpractischen idée einer mitteleuropäischen Allianz hier
oberhand zu gewinnen, und so nähert man sich Preußen, quasi als Bitten-
der und pater peccavi sagender!! das ist ein würdevoller Anfang für oe-
sterreich. vor der hand scheint unsere Absicht dahin zu gehen, das spiel
der conferenzen noch einmahl zu beginnen, um für unsere hasenfüßige
unschlüssigkeit und vielleicht auch für unsere Wortbrüchigkeit Zeit und
raum zu gewinnen. die Abreise des fZm hess und alle militärischen vor-
bereitungen sind auf unbestimmte Zeit suspendirt.
Bruck hat abenteuerliche ideen, die neueste ist, daß er mich nach Persien
schicken will, um dort mit Pomp und spektakel diplomatische verbindun-
gen anzuknüpfen, er hat dieses noch von constantinopel angebahnt, und
nächster tage soll ein persischer Abgesandter hier erscheinen. er sprach
mir gestern mit wahrem feuer davon. die idee, falls sie sich auf eine bloße
mission, nicht auf ein dort verbleiben beschränkt, wäre nicht so übel, wenn
nicht der jetzige Augenblick, wo Alles in gährung ist oder zur gährung kom-
men muß, nicht gar so ungeeignet wäre, ich wenigstens hielte es für mich
kaum für angezeigt, jetzt auf viele monathe das vaterland zu verlassen.
[Wien] 18. mai
heute habe ich wieder mit Bruck über sein persisches Projekt gesprochen,
er hält mit großem eifer daran fest, obwohl Buol, wie es scheint, den Au-
genblick nicht für geeignet hält, um derley neue verbindungen anzuknüp-
fen. es ist übrigens eben jetzt ein Agent des schah’s hier angekommen,
mit diesem und Buol will Bruck nun die sache verhandeln, worauf dieser,
welcher über Petersburg nach teheran zurückgeht, dort die Wege anbah-
nen soll, in jedem falle hätte es daher mit dieser mission noch gute Weile.
Zugleich hat Bruck, wie er mir erzählte, mit Buol über mich gesprochen.
Bruck’s ewige klage ist über die unfähigkeit unseres diplomatischen corps
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien