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Tagebücher178
von den österreichischen Bevollmächtigten zugegebenen stipulationen hin-
sichtlich der freyheit der donau, des syndicates an den mündungen und
der europäischen Aufsichtscommission abgefaßt, während doch der ganze
donauhandel fast ausschließlich ein österreichischer ist. Bey Buol und Pro-
kesch erkläre ich mir dieses durch ihre vornehme ignoranz in handels-
fragen, bey Bruck, der doch gewiß auch befragt wurde, durch seine trie-
ster gleichgültigkeit wo nicht Abneigung gegen die donau. ein glück für
österreich, daß diese conferenzen kein resultat hatten, überhaupt besteht
das bekannte österreichische glück immer darin, daß unsere dummhei-
ten unschädlich gemacht werden, durch Zufall oder fügung. so tritt jetzt
frankreich mit einer Proposition hervor, die beyden donaufürstenthümer
unter einer erblichen europäischen dynastie zu vereinigen, und wir schei-
nen darauf eingehen zu wollen! das erinnert an das famose conciliations-
projekt Brucks an manin in venedig im frühjahre 1849, welches dieser
zum größten glücke nicht annahm!1 überhaupt halte ich Bruck für einen
misérablen Politiker. übrigens scheinen wir uns immer mehr zu einer be-
waffneten neutralität zu bestimmen. rußland anzugreifen hat der kaiser
und noch weniger seine generäle keine lust. louis napoléon scheint sich
ernstlicher mit einer insurgirung Polens zu beschäftigen, und unsere neu-
tralität solle eine wohlwollende seyn, wenn es nur die Westmächte auch so
verstehen wollen. die idee der Wiederaufnahme der conferenzen ist fallen
gelassen worden, und man rüstet sich in england, frankreich und rußland
zum energischen kriege.
neulich hatte ich bey heckscher ein frankfurterdiner mit schmerling
und max gagern, welcher so eben in österreichische dienste getreten ist.2
dazu mag ihm wohl zum theile auch seine katholische richtung verholfen
haben, diese letztere fängt nach und nach an, unheimlich zu werden, findet
aber im Publikum keinen Boden und wird eher die entgegengesetzten religi-
ösen und politischen resultate hervorrufen, als die sind, die man erwartet.
ich betrachte es als meine hauptsächlichste persönliche errungenschaft
aus dem Jahre 1848, daß ich den hohlen liberalismus, die Phrase, das es-
Aller-Welt-recht-machenwollen, welches die allgemeine farbe des Zeitab-
1 das Anfang Juni 1849 unterbreitete österreichische Angebot sah im falle einer kapitula-
tion die eingliederung venedigs in ein autonomes lombardo-venetien oder seine stellung
als reichsunmittelbare stadt vor. nachdem dieses Angebot nicht weiter präzisiert wurde,
brach venedig die verhandlungen ende Juni ab.
2 Johann gustav heckscher, als ministerresident vertreter der stadt hamburg in Wien,
war Abgeordneter der frankfurter nationalversammlung für hamburg, ritter Anton v.
schmerling für den niederösterreichischen Wahlkreis tulln, und frh. maximilian v. ga-
gern, der als ministerialrat ins österreichische Außenministerium eintrat, für den Wahl-
kreis montabaur (herzogtum nassau).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien