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Tagebücher182
ser paraît n’avoir pas de couilles) und seinem getreuen und jämmerlichen
echo, hess. die leute machen sich die illusion, daß, wenn wir uns neutral
erklären, die Westmächte gezwungen den frieden schließen werden, wobey
sie sich aber groß irren, der krieg wird fortwähren, unsere neutralität eine
bewaffnete, folglich ebenso kostspielige und weit länger dauernde seyn als
der krieg, und am ende werden wir doch in diesen verwickelt werden. ich
begreife nur Bruck nicht, denn er ist der einzige vernünftige unter denen,
die um diesen Preis den frieden (für den Augenblick) wollen.
[Wien] 6. Juny
Was ich befürchtete, ist geschehen, die conferenzen sind geschlossen wor-
den, und zwar in der allerungeschicktesten Weise, indem wir durch einen in
der letzten minute gemachten nochmaligen Ausgleichungsantrag, zu wel-
chem die Zustimmung von seite der Alliirten nicht zu erwarten war, ruß-
land die gelegenheit gaben, auf eine wohlfeile Art friedensliebe zu affecti-
ren und das odium auf die Westmächte zu schieben.
Wir haben nun erklärt, daß wir auf der Basis der 4 Punkte (notabene nach
unserer Auslegung, welche von der, welche am 2. december wenn auch nicht
offiziell ausgesprochen, doch gang und gebe war, bedeutend abweicht) ste-
hen bleiben, der vertrag vom 2. december scheint demnach factisch, wenn
auch nicht formell, annullirt,1 der krieg geht fort, und wir sehen zu. es soll
nun ziemlich bedeutend reducirt werden, doch immer noch ein observations-
corps auf kriegsfuß in galizien und ebenso das occupationscorps in den für-
stenthümern fortbestehen, also immerhin genug, um unsere finanzen nicht
nur nicht reguliren zu können, sondern sie sogar noch tiefer herabzubringen.
Parturient montes.2 vor Preußen und deutschland haben wir ehre und
reputation verloren und sind hinter Preußen zurückgetreten. mit den West-
mächten wird es eine immer kühlere freundschaft werden. rußland aber
verzeiht uns nie und lacht sich jetzt in die faust, es ist eine schmach, und
eine schmach ohne vortheil.
[Wien] 14. Juni
ich habe jetzt eine harte Zeit durchzumachen, es gibt momente, in denen Alles
unangenehme und entmuthigende auf einmahl über uns hereinbricht und
1 Zum vertrag v. 2.12.1854 und zum vierpunkte-Programm der Westmächte vgl. einträge v.
4. und 9.12.1854. in der letzten sitzung der Wiener konferenzen am 4.6.1855 hatte öster-
reich einen vermittlungsvorschlag eingebracht, der eine von den großmächten garantierte
Reduzierung der russischen und türkischen Schwarzmeerflotten vorsah. Bereits im Vorfeld
war klar, dass die Westmächte diesen vorschlag ablehnen würden.
2 horaz, Ars Poetica, vers 139: Parturient montes, nascetur ridiculus mus – Berge kreißen,
und geboren wird eine lächerliche maus.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien