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Tagebücher190
denn die franzosen haben sich in dieser sache nicht minder, vielleicht noch
mehr verfahren als wir, und die reaktion wird nicht ausbleiben.
deutschland aber spielt die allerelendeste rolle von der Welt, ich bin neu-
gierig, jetzt mich dort umzusehen, wie es den leuten ums herz ist. das sieht
man nun auch klar, was der sogenannte einfluß oesterreichs auf deutsch-
land zu bedeuten hat, es ist für uns ein hemmschuh, weiter nichts, 1/3 ha-
ben ist mir lieber als ein zweifelhafter einfluß auf das ganze.
heute früh ist gabriele neuwall sammt ihrer unausstehlichen sippschaft
abgereist, wir waren noch Abends zusammen im Jägerhause, schönbrunn,
im August hoffe ich sie wieder zu sehen, und werde bis dahin die stunden
zählen, denn sie ist mir mit jedem tage unentbehrlicher geworden.
heute besuchte mich heuglin, unser consul in chartum.
kissingen 8. July
Am 1. Abends war ich noch bey Bruck, er theilte mir einen Antrag mit, wel-
cher von einer englischen gesellschaft, darunter der bekannte eisenbahnun-
ternehmer Peto, so eben wegen concessionirung der Wien-salzburgerbahn
gemacht worden war, und trug mir auf, dieses gabrielli, natürlich ohne ihn
zu nennen, zu dem ende mitzutheilen, damit dieser sich wo möglich mit je-
nen verständige und einen gemeinschaftlichen Anboth mache, was ich dann
auch that, den Brief gab ich in leipzig auf.
Am 2. früh fuhr ich per eisenbahn ab, war um 8 Abends in Prag, welches
ich um 9 uhr wieder verließ. mit mir fuhren fürst montléart und Bird, der
times correspondent in Wien. um 1/2 7 früh war ich in leipzig, um 11 in
hof, um 3 in Bamberg, um 5 in schweinfurt und von da per eilwagen um
1/2 9 uhr, also nach ungefähr 38 stunden, hier, ich wohne im russischen
hofe.
Am 5. fing ich meine cur an und habe gestern zum erstenmahle gebadet.
kissingen ist sehr voll, doch gibt es blutwenig gute gesellschaft, fast nichts
als deutsche, die ganz particularistisch zusammenhalten, jedes stäätchen
für sich. das ist mir übrigens ganz bequem, und ich befinde mich dabey recht
wohl. mein umgang beschränkt sich bis jetzt auf wenige, meist ältere und
bessere Bekannte: graf und gräfinn hohenthal (welche letztere leider sehr
leidend aussieht), Blittersdorf sammt tochter, frau v. guaita aus frank-
furt, Adolph schwarzenberg, Pepi huniady, ein herr v. könneritz, Anna
honstedt-Bodenhausen etc. und natürlich gabrielle. lulla lerchenfeld war
ein paar tage hier und versprach mir den Besuch gustavs, die großherzo-
ginn von mecklenburgstrelitz sammt tochter ist wieder hier und gibt uns
heute ein goûter im klaushofe. diese veränderung in luft, lebensweise
und umgebung thut mir sehr wohl, das beynahe Jahrlange stillesitzen hatte
mich schon ganz heruntergebracht.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien