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19321.
Juli 1855
etwas entfernter, fürstinn Auguste Auersperg mit ihren 2 töchtern,1 der
mittelpunkt dieser gesellschaft aber war und ist wenigstens für mich die
Prinzessinn caroline [mecklenburg-strelitz] und ihre beyden hofdamen:
fräulein von hochstetter, eine sehr interessante und wahrhaft künstleri-
sche natur, und die allerliebste kleine gräfinn Waldersee. sie sind schon
seit ein paar tagen auf der Abreise, werden aber zum glücke noch immer
durch eine unpäßlichkeit der großherzoginn zurückgehalten, worüber ich
sehr erfreut bin. mit ihnen wird für mich der hauptreiz meines hiesigen le-
bens verschwunden seyn.
die hohenthals reisen übermorgen ab, gabrielle am tage darauf, so daß
ich in ein paar tagen ziemlich verwaist seyn werde. Auch frau v. Benken-
dorf, eine sehr angenehme hübsche russinn, die ich viel sah, ist heute fort,
Blittersdorfs, guaita, könneritz schon seit mehreren tagen.
ich werde um den 31. oder 1. abreisen, nach Wien dürfte ich erst um die
mitte August zurückkehren, da gabriele neuwall, wie sie mir schreibt, ihren
Aufenthalt in neuhaus, welcher ihr ebenso zuträglich als angenehm zu seyn
scheint, bis dahin verlängert hat. Auch die Angelegenheit der Westbahn
zieht sich in die länge, ich habe darüber in dieser letzten Zeit einen ziemlich
lebhaften Briefwechsel mit gabrielli und Bruck geführt, die schwierigkeiten
scheinen bedeutender als gabrielli Anfangs glaubte, die neueste Wendung
unserer Politik erhöht sie. Bruck mag nun selbst einsehen, welche hinder-
nisse er sich selber bereitet hat.
Wegen des anderen Anbothes hinsichtlich der Wien-salzburgerbahn hat
sich Bruck von einem Aventurier hintergehen lassen, denn Peto hat es förm-
lich in Abrede gestellt, irgend Jemanden in dieser Beziehung Aufträge ge-
geben zu haben. ich habe dieses natürlich Bruck mitgetheilt. ich glaube, es
steht uns eine förmliche invasion von schwindlern bevor.
vor ein paar tagen kam gustav lerchenfeld von Bamberg, um mich zu
besuchen, und blieb anderthalb tage hier, ein prächtiger mensch, aber ein-
seitig, noch einseitiger als ich, der ich doch wenigstens ein contemplatives
interesse an allen geistigen und künstlerischen strebungen nehme, und
beschränkt auf seinen kleinstädtisch bayerischen horizont. Auch kann ich
mich an den cynismus und das unaristokratische Wesen aller dieser süd-
deutschen Politiker nicht gewöhnen und halte diesen fehler für wichtiger,
als es auf den ersten Blick scheint. lerchenfeld ist die verkörperte Allge-
meine Zeitung, voll hoffenden enthusiasmus für oesterreich, das er nicht
kennt und ganz falsch beurtheilt, voll wüthenden Preußen- und engländer-
1 Prinzessin Auguste Auersperg, geb. v. lenthe, die gattin von Prinz karl Auersperg, hatte
sechs töchter. fürstin war ihre schwester friederike, sie hatte zwei (verheiratete) töchter.
gemeint sind wohl zwei der drei unverheirateten töchter von Auguste Auersperg.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien