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Tagebücher196
dagegen veranstaltet man in Wien Processionen für die unbefleckte emp-
fängniß mariä und ruft die lombardischvenezianischen centralcongregatio-
nen wieder zusammen, als vorbild dessen, was wir zu gewärtigen haben.
eine der Annehmlichkeiten meiner bisherigen hiesigen existenz war die,
daß ich sowenig als möglich an die cara patria dachte.
und somit wäre denn abermals ein kleiner roman zu ende, ich muß bey-
nahe über mich selbst lachen, wie ich in meinen alten tagen ein wahrer Wei-
berknecht werde und regelmäßig alle 3–4 monate einen dergleichen roman
abspiele, das amusirt mich und erhält den geist frisch, diesesmahl hatte er
den vorzug und die eigenthümlichkeit, 3 heldinnen zu haben, deren kei-
ner ich einen entschiedenen vorzug zu geben wußte, die sich vielmehr alle
3 gegenseitig ergänzten, die elegante erscheinung und der liebenswürdige
richtige verstand der herzoginn caroline, der naive kindliche reizende
muthwille der kleinen Waldersee und die schwärmerische tiefe religiöse
künstlernatur des fräuleins von hochstetter, alle 3 vollendet in ihrer Art
und so angenehm im umgange, daß ich einen gelinden katzenjammer bisher
noch nicht überwinden konnte.
[Bad kissingen] 29. July
morgen früh reise ich ab, vorgestern Abends schrieb mir samwer, daß der
herzog und er am 27. nach coburg kommen und bis 1. dort bleiben würden,
und daß er mich in dieser Zeit zu sehen hoffe, nach Allem scheint es mir, als
ob der herzog eigens wegen mir diese reise unternommen hätte, und so will
ich denn morgen Abends in coburg eintreffen.
mit dem trinken habe ich schon seit ein paar tagen aufgehört, ich fühlte,
daß ich genug hatte, und daß der rákoczy anfing, mir zu kopfe zu steigen,
eine sonstige crisis habe ich nicht gehabt, befinde mich übrigens und befand
mich die ganze Zeit sehr wohl und war mit allen meinen reactionen in ord-
nung. gebadet habe ich nur 4mal und halte nichts darauf.
das Wetter ist beynahe fortwährend schlecht, seit 14 tagen war es immer
regnerisch, schlechte ernteausssichten überall, das fehlte noch.
ich habe mich seit der Abreise meiner frühern gesellschaft ziemlich ge-
langweilt. gräfinn Pourtales war meine hauptressource, doch zieht ihr ein
schweif ziemlich langweiliger Berliner herrn nach, vorgestern machten wir
Alle zusammen eine Parthie nach Bocklet.
von Bruck habe ich noch keine Antwort, hoffe jedoch, noch hier oder in
nürnberg eine zu erhalten sowohl wegen der Westbahn als wegen gabrielli’s
Project mailand-Buffalora. die sache wegen der übernahme der Westbahn
durch gabrielli & c. ist auf das politische feld übergetreten, und da will ich
dann hören, ob und was Bruck zu sagen hat. darnach werde ich mich auch
entscheiden, ob ich direct nach Wien zurückkehre oder noch bis zum 15. die
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien