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August 1855
noch ein glück, die machthaber aber bereiten sich dadurch ihre eigene
grube, aus unverstand und ungeschick, ils se sont trompé de phiole, wie
mir einmahl lady William russell sagte.
Als resultat meiner reise bringe ich die überzeugung mit, daß es Zeit sey,
die idee einer theilung deutschlands zwischen uns und Preußen in ange-
messener Weise zu fördern und zu cultiviren, denn nur sie hat eine Zukunft,
die einheitsidee ist mausetodt außer bey der röthesten democratie, welche
an eine Zertrümmerung aller staaten, inclusive oesterreichs, denkt, in süd-
deutschland praevalirt der Preußenhaß über jede andere politische idée. in
Betreff der orientalischen frage aber herrscht vollkommene indifferenz, weil
man den glauben an eine gesammteuropäische verwickelung, aus welcher
für deutschland etwas hervorgehen könnte, wenigstens für den Augenblick
verloren hat. nur eines wäre unpopulär: eine Allianz mit rußland.
Wien 15. August
ich ging gleich am tage meiner Ankunft, am 10. Abends zu Bruck, er sagte
mir, daß während meiner Abwesenheit die herren laing und uzielli, diesel-
ben, die wegen des Pachtes der italienischen Bahn verhandelt hatten und,
wie wenigstens Bruck behauptet, diese idée noch immer nicht aufgegeben
haben,1 auch wegen übernahme der Westbahn offerte gemacht und einen
Bevollmächtigten hier zurückgelassen hätten, daß er auf meine Ankunft ge-
wartet habe, um mir vorzuschlagen, daß ich und gabrielli uns mit diesen
besprechen und wo möglich vereinigen sollten, wogegen ich um so weniger ei-
nen Anstand zu haben erklärte, als gabriellis committenten ihn ohnehin im
stiche zu lassen scheinen. er sagte mir dann, er wolle mir deßhalb mit dem
repräsentanten jener herren sprechen und mir dienstag Antwort sagen.
Auf Blittersdorfs Wunsch wegen mittheilung der technischen und sta-
tistischen daten in dieser nämlichen Angelegenheit ging er nicht ein, son-
dern meinte, dieser und seine freunde könnten sich, wenn sie wollten,
seinerzeit mit uns verbinden, es scheint, daß er auf die herbeyziehung eng-
lischer capitalisten wenigstens für jetzt mehr Werth legt als süddeutscher.
Auch auf meine haupt idée wegen gründung einer exportgesellschaft (an
welcher übrigens auch die Frankfurter noch wenig Geschmack finden) ging
er nicht weiter ein, doch will ich die sache nicht fallen lassen, da sie mir
eine große Bedeutung zu haben scheint, und bin eben daran, mir näheres
darüber ausarbeiten zu lassen.2
1 erstmals hatte Andrian am 25.6.1855 vom interesse englischer investoren an der über-
nahme der Staatsbahnen in Lombardo-Venetien geschrieben; vgl. auch Eintrag v. 25.7.1855.
2 Andrian hatte während seiner kur in Bad kissingen mit frh. friedrich v. Blittersdorf über
die gründung einer derartigen gesellschaft gesprochen, vgl. eintrag v. 14.7.1855.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien