Page - 208 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Volume III
Image of the Page - 208 -
Text of the Page - 208 -
Tagebücher208
die übrigens ganz reputirlich aussehen, ein Weiberknecht, wie ich es nun
einmahl bin, amusirt mich zuweilen selbst die gesellschaft mittelmäßiger
frauen, vorausgesetzt daß das nicht zu lange dauert. Am 19., also gestern,
wo wir das erstemahl einen herrlichen tag hatten, wanderte ich mit einem
führer nach sanct christoph zu meiner alten freundinn louise Almásy,
aß bey ihr, sprach von alten geschichten und alten Zeiten und ging nachher
nach gloggnitz zur eisenbahn. Abends traf ich hier ein.
neues nichts, man erwartet noch immer die finanzmaßregeln, in der
krim und ostsee einige schläge, doch nichts entscheidendes, dagegen eine
zunehmend zweydeutige haltung der Westmächte uns gegenüber. Auch
meine geschäfte stehen still, denn ich warte vor Allem gabriellis Antwort
ab, und mit Blühdorn & c. will ich einstweilen und überhaupt nicht zu
thun haben. ich hätte lust, einmahl selbst nach london oder nach Paris zu
fahren und die sache da wo möglich abzumachen.
gabriele neuwall ist hier und geht am 25. in die seebäder nach Biarritz,
ich habe sie erst 2mahl gesehen, denn es ist jetzt ein moment der krisis und
stürme von allen seiten, und da muß ich vorsichtig seyn, in ihrem interesse,
ihr mann hat in neuhaus einen höllenspektakel erhoben und ihren vater, den
einzigen menschen, vor dem sie wehrlos und willenlos ist, zu hülfe gerufen,1
da hat es denn hier in diesen letzten tagen für sie sehr unangenehme Auf-
tritte gegeben, die Ärmste. die kluft zwischen ihr und ihrem manne ist da-
durch um vieles erweitert und eine wahre versöhnung unmöglich geworden,
sie meint, durch theilweises nachgeben in diesem Augenblicke sich für die
Zukunft größere freyheit und eine unabhängigere stellung sichern zu kön-
nen, während ich dafür halte, daß eine ganz offene explication angezeigter
wäre. ich habe ihr dieses wiederholt und sehr entschieden gesagt, will aber
nicht weiter in sie dringen, da sie Personen und terrain besser kennt als ich,
überhaupt eine gescheidte und, wie ich wenigstens glaube, auch eine energi-
sche frau ist, und mich ihr seelenzustand wirklich und wahrhaftig dauert.
den Anlaß zu all diesem lärmen gaben meine Briefe, die sie ihm nicht zeigen
wollte und nach ihrer Ansicht (nicht nach der meinigen) auch nicht zeigen
konnte, endlich ein anonymer Brief und die furcht lächerlich zu werden, also
eigensinn und miserable eitelkeit.
[Wien] 29. August
gabrielli antwortete mir neulich, daß sowohl laing als uzielli von london
abwesend seyen und nicht vor mitte september zurück kehren dürften, daß
1 gabriele v. neuwall war eine tochter des pensionierten niederösterreichischen landrats
heinrich Baumann, ihre bereits 1827 verstorbene mutter stammte aus der Wiener Ban-
kiersfamilie Arnstein.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien