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August 1855
er übrigens bereit sey, sich mit ihnen zu vereinigen, überhaupt Alles zu
thun, was ich ihm anrathen würde. Zugleich aber wiederholte er mir seine
klagen, daß er bey dem jetzigen Zustande der österreichischen finanzen es
selbst gegen eine garantie von 6% noch schwer haben werde, liebhaber zu
finden, um so mehr als selbst in England auf ostindische Bahnen 5% garan-
tirt würden, und dennoch diese nur wenig über Pari stünden.
dagegen hat sich Blittersdorf und seine committenten bey mir mit ei-
nem Betrage von 5 millionen auf die projectirte Westbahn vorgemerkt.
ich habe heute eine lange conversation mit Bruck gehabt und mich ent-
schlossen, selbst nach Paris zu gehen, um diese sache kurzweg abzuma-
chen, oder wenn das nicht thunlich ist, darüber wenigstens ein für alle-
mahle ins klare zu kommen. man kann es dann anderwärts versuchen.
natürlich handelt es sich vor der hand erst um die Bildung einer gesell-
schaft, die dann wegen der concession mit der regierung in unterhand-
lung treten soll, doch müssen, selbst um diesen vorläufigen Schritt zu errei-
chen, die etwa möglichen concessionsbedingungen im voraus mit einiger
Wahrscheinlichkeit des erfolges festgesetzt werden. die regierung will
Alles mögliche thun, um das Zustandekommen dieser für sie so wichtigen
Bahn zu erleichtern, militär zu Arbeitern herleihen etc., nur zu einer höhe-
ren Zinsengarantie als 5% kann sie sich der form und des Beyspiels halber
nicht herbeylassen, und eine garantie à forfait, wie sie Blühdorn vorschlug,
wäre so ziemlich eine spitzbüberey.
kurz, ich denke in 2–4 tagen abzureisen, früher werde ich nochmals
mit Bruck ausführlich sprechen, nach england zu gehen, was ich ohnehin
nicht in Absicht hatte, widerrieth mir Bruck, dazu sey die politische lage
zu gespannt und man hier zu aufmerksam auf mich, das würde gewissen
leuten nur Wasser auf ihre mühle seyn. Wie ich es sagte, wir rutschen täg-
lich mehr ostwärts ab und werden dabey nicht einmahl etwas Anderes als
schande ernten.
Bruck aber, der das Alles zum großen theile verschuldet, lamentirt sel-
ber, er kann in seinem ressort nichts durchsetzen, der reichsrath sitzt ihm
auf dem nacken, der kaiser will keine einschränkung des militäretats, we-
nigstens keine erhebliche. Alle finanzmaßregeln sollen wieder verschoben
seyn. noch einige monathe, und Bruck hat seine reputation verloren und
tritt ab, das sind die folgen einer von Anfang schiefen stellung, was mich
aber betrifft, so muß ich eilen, um, solange er da ist, in eine amtliche oder
außeramtliche Beschäftigung zu kommen.
gabrielle neuwall ist heute abgereist, sie hat für dießmal ihrem vater
und manne die concession gemacht, bis zu ihrer rückkehr, mitte novem-
ber, jede correspondenz mit mir aufzugeben, sich dagegen für den Win-
ter gegenconcessionen stipulirt, von denen wir sehen werden, ob sie auch
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien