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21319.
September 1855
gabriele neuwall ist nicht nur noch hier, sondern geht gar nicht nach Bi-
arritz und bleibt hier, ihr mann fürchtet die cholera, welche dort grassirt,
als ob es nicht für ihn noch andere dinge gäbe, welche er nicht minder zu
fürchten hat … ich sah sie gestern bey véfour im Palais royal, wo ich mit
frau v. schwarz aß, und will sie dieser tage aufsuchen.
von Bekannten habe ich seitdem sonst noch feri traun, seine frau und
hübsche stieftochter,1 louis károly etc. gesehen.
kübeck ist in Wien an der cholera gestorben, kein verlust.
[Paris] 19. september
in Beziehung auf den eigentlichen Zweck meiner reise habe ich bis jetzt
nur wenig fortschritte gemacht. gabrielli ist seit mehreren tagen hier, er
schien mir bey seiner Ankunft ziemlich abgeneigt, sich in diese sache wei-
ter einzulassen, jedoch hat er, seit ich ihm die vortheilhaften Bedingungen
mittheilte, welche die regierung zu bewilligen geneigt wäre, seine meinung
geändert und möchte nun gerne auf eigene hand arbeiten, ohne sich mit
laing und uzielli zu verbünden. übrigens halte ich auf diese Bereitwillig-
keit nicht viel und ebensowenig auf seine mittel, ein solches unternehmen
durchzuführen, es scheint mir, daß ihm hauptsächlich darum zu thun wäre,
die concession zu erhalten, um dann damit weiter zu speculiren, unbeküm-
mert um das Zustandekommen der unternehmung selbst. uzielli soll heute
hier ankommen, und da will ich dann sehen, was von ihm zu erwarten ist,
wie natürlich macht mir gabrielli auf alle Art den hof, andererseits werde
ich auch von Buscheck, Brucks schwager, einem ziemlich zweydeutigen
character, überlaufen, auch er möchte sich wichtig machen und einen ge-
winn bey dieser sache sichern.
übrigens sind die schwierigkeiten, unternehmer und noch mehr die
Capitalisten für eine Unternehmung in Oesterreich zu finden, allerdings
größer, als ich mir sie gedacht hatte, die Politik ist ein hauptanstoß, woran
Bruck nicht glauben will, die zweydeutige haltung oesterreichs, welche
für die Zukunft Besorgnisse einflößt, die große Unpopularität, derer wir
uns ebendeßhalb hier und in england erfreuen, die möglichkeit, daß bey
zunehmender spannung wenigstens die französische regierung (die ja all-
mächtig ist) gegen eine solche Betheiligung hiesiger capitalisten ein veto
einlegen dürfte, dann das Mißtrauen in die finanziellen Ressourcen Oester-
reichs und daher in dessen fähigkeit, seine etwa zu übernehmenden ver-
pflichtungen zu erfüllen, Alles dieses hält die Leute ab. Dazu kömmt, daß
1 Graf Franz Abensperg-Traun war seit 1843 mit Gräfin Barbara Bethlen, verwitw. Gräfin
kendeffy, verheiratet. sie hatte aus ihrer ersten geschiedenen ehe mit graf Adam Bethlen
eine tochter hermine, die mit graf markus Pejacsevich verheiratet war.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien