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Oktober 1855
kürze abmachen können, er will die gesellschaft hier constituiren, und
zwar mit einigen schweizerhäusern: Bartholony, hornberg etc. in wie weit
allen diesen versicherungen zu trauen ist, muß sich bald zeigen, vor der
hand handelt es sich um nichts anderes, als der regierung eine formelle
Proposition zu machen und mit ihr darüber in unterhandlung zu treten.
gabrielli sieht sich seinerseits nach unternehmungslustigen um, welche
sich dann entweder an uzielli anschließen oder, wenn er zurück treten
sollte, selbstständig auftreten würden. ich habe gestern an Bruck und cor-
don geschrieben.
Prokesch ist in einer außerordentlichen sendung hier angekommen, wir
möchten jetzt wieder gerne einmal vermitteln und werden uns dabey wie-
der einmal lächerlich machen, hier wird man sich bereitwillig stellen und
alle schuld auf england schieben, wie man das seit Anfang des krieges
thut, es gibt nichts jämmerlicheres als diese ängstliche sorge unserer re-
gierung, es mit keinem der beyden theile zu verderben, auch haben wir
damit nichts Anderes gewonnen als eine Abneigung, ein mißtrauen und
eine verachtung, wie ich sie in diesem maaße noch nie erlebt habe.
vorgestern aß ich bey lady gordon mit victor cousin, einem sehr inter-
essanten, lebhaften, geistvollen alten herrn, typus der louisPhilippisti-
schen schule und der doctrinen von 1789, daher verehrer der centralisa-
tion, feind englands, folglich dieses krieges, daher freundlich gestimmt
für das sogenannte „neue oesterreich“ und seine büreaukratische demo-
cratische centralisation. ich habe ihm auseinandergesetzt, daß wir noch
in voller revolution sind, daß daher Alles, was jetzt bey uns vorgeht, nur
seifenblasen seyen.
meine gute liebe norton denkt leider schon an die heimkehr, ist sie fort,
so werde ich wieder in mein ziemlich leeres leben zurückfallen, sie ist mir
von einer durch gar nichts Anderes zu ersetzenden ressource, obwohl ich
dießmal weniger zu ruhiger ungestörter conversation mit ihr gekommen
bin als sonst. Visiten, Diners, Theater, auf den Straßen flaniren und in
der Ausstellung herumwandern haben leider unsere beste Zeit in Anspruch
genommen, vor Allem aber praeoccupirt sie der Zustand ihres sohnes flet-
cher, welcher schwächer als zuvor (meint sie, ich konnte das nicht bemer-
ken) von cauterets zurückgekommen ist und von lord cowley mit Arbeit
überhäuft wird. das Wetter ist ganz unglaublich schön und warm wie oft
kaum im hohen sommer, seit ich hier bin, habe ich einen einzigen regneri-
schen tag gehabt.
[Paris] 1. october
ich glaube, endlich das geschäft wegen der Westbahn, so weit dieses unter
den gegenwärtigen verhältnissen möglich war, ins reine gebracht zu ha-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien