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ben. diese verhältnisse waren nämlich so ungünstig als möglich, da seit
einigen Wochen, namentlich aber seit 8–10 tagen eine wahre panique auf
der hiesigen und der Londoner Börse herrscht, der große Abfluß des Gel-
des nach dem oriente (man sagt 20–25 millionen Pfund sterling), um dort
größtentheils vergraben zu werden, die schlechte ernte in frankreich, wel-
che einen Ausfall von wenigstens 200 millionen franken ergibt, die Aus-
sicht auf einen langen krieg, daher auf wiederholte Anleihen, haben den
Preis des geldes so in die höhe getrieben, daß die londonerbank, was seit
1848 nicht geschehen war, den disconto auf 5% erhöhte. dazu kam hier
eine momentane Angst vor den schwindeleyen des créditmobilier, dessen
Actien in 8 Tagen um 400 francs fielen. Der Regierung scheint selbst Angst
zu werden, und sie hat bereits maßregeln ergriffen, um dieser speculati-
onswuth und schwindeley zu steuern, auf wie lange?
Pereire muß heute oder gestern von Wien zurückgekehrt seyn, ich hoffe,
Bruck hat sich mit ihm nicht zu weit eingelassen.
ich hatte also in den letzten tagen mehrere Zusammentretungen mit
uzielli, devaux, Blunt und talabot, welcher letztere die hauptperson zu
seyn scheint. laing ist krank und konnte nicht herüberkommen. die leute
haben sämmtlich große lust zu dem unternehmen, und der hauptanstand
lag immer nur in der jetzigen geldcrisis und der schwierigkeit, unter die-
sen verhältnissen die nöthigen capitalien aufzubringen, ihr Bestreben
ging daher dahin, die regierung einstweilen hinzuhalten, zugleich aber die
sache in ihren händen zu behalten und jede concurrenz zu entfernen. dar-
über discutirten wir dann einige tage hin und her und haben uns endlich
dahin verständigt, daß ich bevollmächtigt werden solle, nach verlauf eines
monaths, welcher zum näheren studium der in Wien ausgearbeiteten de-
tailpläne verwendet und ein ingenieur von hier dahin abgesendet werden
soll, um die concession unter den mit mir bereits gegenwärtig schriftlich
abgemachten Bedingungen einzuschreiten. ich glaube damit, Alles, was
möglich war, und überhaupt Alles, was den staat interessieren kann, er-
reicht zu haben.
Politisch neues nicht viel, in der crim rüstet man sich zu der herbstcam-
pagne in der Absicht, die russen bis Perekop zurückzudrängen. An einen
nahen frieden denkt niemand als wir und deutschland, der kaiser hier
thut zwar manchmal, als ob er hierin nur dem impulse englands folgte,
ist aber in seinem innern so kriegerisch als je, ebenso sind Palmerston und
clarendon, und Beyde stehen seit dem falle von sebastopol sehr fest, die
Actien sardiniens steigen, selbst Preußen hat in england viele freunde,
durch den Protestantismus, die bevorstehende heirath,1 und weil man dort
1 die hochzeit von Prinz friedrich, sohn des preußischen thronfolgers und seit 1861 kö-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Volume III
- Title
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Subtitle
- Tagebücher 1839–1858
- Volume
- III
- Author
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Editor
- Franz Adlgasser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 476
- Keywords
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Category
- Biographien